»Ich habe meine ökologische Perspektive seit 1972 nicht ändern müssen«, sagte Carl Amery, der Vordenker der Öko-Bewegung in Deutschland, zu seinem 80. Geburtstag. So ist es auch nicht verwunderlich, daß er sich in den letzten Jahren immer wieder mit dem Thema der Ökologie auseinandersetzte. »Es ist vorauszusehen, daß die Lebenswelt, wie wir sie kennen und bewohnen, im Laufe des anhebenden Jahrtausends zusammenbrechen und unbewohnbar werden wird.«Mit seinen kritischen Essays zum Katholizismus und zum zerstörerischen Umgang mit der Schöpfung hatte Amery der gesellschaftspolitischen Diskussion in Deutschland entscheidende Anstöße gegeben. Seit mehr als drei Jahrzehnten setzte sich der gebürtige Münchner in vielen Schriften für eine zeitgemäße Umweltpolitik ein. Barocke Fabulierkunst, apokalyptische Untergangsvisionen und moderne Zivilisationskritik gehörten dabei zu den tragenden Elementen in seinen Romanen, Essays und Hörspielen.
Nun ist Carl Amery, der am 9. April 1922 als Sohn eines Hochschulprofessors für Geschichte unter dem bürgerlichen Namen Christian Anton Mayer geboren worden war, am 24. Mai 2005 gestorben. Amery wuchs in Bischofsstädten wie Passau und Freising auf. Ein Jahr nach seinem Abitur 1940 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. 1943 geriet er in amerikanische Gefangenschaft. Nach seiner Entlassung 1946 studierte er in München und an der Catholic University of America in Washington Literaturwissenschaften und arbeitete seit 1950 als freier Autor. Er gehörte 1981 zu den
ersten Unterzeichnern des Appells der Schriftsteller Europas für Abrüstung und Frieden. Amery war von 1989 bis 1991 Präsident des deutschen PEN-Zentrums. Auch dem Verband deutscher Schriftsteller stand er zeitweilig vor.
In jenen Zeiten, in denen konservative Germanisten mit Vehemenz immer wieder versuchten, die Science Fiction per se als Trivialliteratur abzutun und somit strikt von der Hochliteratur abzugrenzen, zählte er zu den Autoren, die die Unsinnigkeit dieses Vorhabens deutlich vor Augen führten. Einerseits war Carl Amery Mitglied der längst legendären »Gruppe 47« und Präsident des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums, andererseits verfaßte er nicht nur gesellschaftskritische Romane und Essays, sondern auch Science Fiction. Die Literaturkritikerin Elisabeth Endres nannte den gebürtigen Münchner zu Recht »den Schöpfer einer intellektuell reizvollen, witzigen Spielform der Science Fiction«.
Während jedoch andere Autoren des Genres oft das Weite suchten und zu meist im All fündig wurden, blieb Amery mit seinen literarischen Visionen gerne auf der Erde. Seine Dimension war nicht der Raum, sondern die Zeit, die z.B. in »Das Königsprojekt« (List 1974) mit Hilfe einer von Leonardo da Vinci konstruierten Zeitmaschine beherrschbar ist. Auch in seinen anderen Romanen, etwa »An den Feuern der Leyermark« (Heyne 1979) oder »Die Wallfahrer« (Süddeutscher Verlag 1986) sind Zeit und Geschichte, im Form alternativer historischer Parallelwelten, zentrale Themen. Amery zeigte Bayern, wie es keiner kennt, weil er Bayern neu erfunden hat.
Das wohl bekannteste Werk des kritischen Katholiken ist »Der Untergang der Stadt Passau« (1975). Nachdem eine Pestilenz das menschliche Leben fast komplett ausgelöscht hat, beginnen die Städte Passau und Rosenheim einen Krieg, dessen Resultat »Der Untergang der Stadt Passau« ist. Mit präziser Sprache schildert Amery das Leben in einer zukünftigen, postkatastrophalen Welt. Ursache für den Tod eines Großteils der Menschheit ist eine Seuche, der die Wissenschaft nichts entgegenstellen konnte. Angesichts von Aids, BSE und der Rückkehr der nun gegen Antibiotika resistenten Tuberkulose hat dieser Roman nichts von seiner Wirkung verloren. »Die katholische Intellektualität«, urteilt Elisabeth Endres, »macht die Lektüre zu einem Vergnügen.«
Nachdem krebserregende Stoffe ins Rinderfutter geraten sind und so in die Hamburger, schickt die Regierung dem kontaminierten Gebiet eine Atombombe und löscht einen Bundesstaat aus. Daß das Hörspiel »Finale Rettung Michigan« bereits 1982 den BSE-Skandal vorwegnahm, kann alle Zeitreisenden nicht wirklich überraschen. Leonardo da Vinci persönlich hat schließlich jene Maschine MYST konstruiert, mit der anno 1688 eine vatikanische Kongregation in Luthers Deutschland zurückeilen will, damit die Glaubensspaltung revidiert werde: So steht es im Roman »Das Königsprojekt«, und ein Erzeugnis aus dem Hause MYST war auch das Gesamtwerk dieses Realutopisten, der sein Bayern liebte und in den letzten Jahren seines Lebens klagte, daß sein »Phantasiezentrum wegen der Tabletten, die ich nehmen muß, einfach verkümmert ist«.
Quellen: u.a. Augsburger Allgemeine, Süddeutsche.de
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