Wenn jemand wie der britische Autor China Miévielle antritt, einen Science-Fiction-Roman zu schreiben, dann sind die Erwartungen zwangsläufig hoch. Denn China Miéville wurde für seine Weird-Fiction-Romane mittlerweile mehrmals mit dem Arthur-C.-Clarke-Award ausgezeichnet, und mit »The City & the City« gewann er den HUGO-Award in der Sparte »Bester Roman«. Nun ist sein neustes Werk »Embassytown« ein waschechter Science-Fiction-Text, und die Amerikanerin Ursula K. LeGuin ist in einer Rezension für den Guardian voll des Lobes über den Roman und bezeichnet ihn schließlich schlicht als »Kunstwerk«.
»Embassytown« ist die Geschichte einer jungen Frau, die auf Arieka aufwächst, einem Planeten, der im Verkehrsnetz der Planeten am abgelegensten Winkel liegt, aber durch seine außerirdische Bevölkerung von Interesse ist. Die Ariekei beherrschen eine hochentwickelte Biotechnologie, aber die Verständigung der menschlichen Kolonisten mit ihnen gestaltet sich höchst kompliziert. Nur spezielle Botschafter, von Geburt an dafür ausgebildete Zwillingspärchen, können sich mit den Ariekei unterhalten, da deren Sprache eigentlich nur von einer Person mit zwei Mündern gesprochen werden könnte. Avice kehrt mit ihrem Mann, einem Sprachforscher, nach Arieka zurück, und wird dort zuerst Zeugin, später dann aber aktive Protagonistin in einem Geschehen, das beinahe zum Untergang der Ariekei und einer Revolution in deren Denken führen wird. Und alles beginnt damit, dass ein neuer, eigentlich unmöglicher Botschafter eintrifft und zu den Ariekei spricht, ein Botschafter, der kein Zwilling ist…
In einem Interview im August 2011 sagte China Miéville, dass er den ersten Manuskriptentwurf zu »Embassytown« vier Jahre lang ruhen ließ, bevor er sich dann an die zweite Version und die Fertigstellung des Roman wagte. Vielleicht erklärt dies, warum der Roman auch stilistisch in mehrere Abschnitte zerfällt. So nimmt sich der Autor auf den ersten 50 Seiten der englischen Originalausgabe viel Zeit uns erst einmal seine Heldin, die junge Frau Avice vorzustellen und von ihrer Kindheit auf Arieka, ihrer Begegnung mit den Außerirdischen zu erzählen und von ihrer Flucht und späteren Heimkehr nach Arieka. Auf diesen ersten Seiten präsentiert er uns einen faszinierenden und außergewöhnlichen Science-Fiction-Kosmos, in dem unser Universum in das »Immer« eingebettet ist, dass erst ein überlichtschnelles Reisen ermöglicht. Diese bunte Welt würzt der Autor mit jede Menge deutscher Begriffe (Immer, Ersatz, Bremen, usw.) und erschafft damit eine interessante Komplexität. Da der Rest des Romans sich aber auf den Planeten Arieka konzentriert, spielt diese schöne Kulisse schon nach 50 Seiten keine weitere Rolle mehr.
Aber an Ideen mangelt es China Miéville prinzipiell nicht. Die Außerirdischen sprechen und verstehen nur »Language«, die »Sprache«. Eine Sprache, die mit zwei Mündern gesprochen werden muss, keine Metaphern verwendet, nur im Zusammenhang mit der realen Welt funktioniert und das Denken der Ariekei so prägt, dass es diesen erst gar nicht möglich ist zu lügen. Eine Idee, die natürlich an das Orwellsche Newsspeak aus dem Klassiker »1984« erinnert, in der ein totalitäres System die Gedanken seiner Bürger dadurch kontrollieren will, in dem es eine Sprache erschafft, die zum Ziel hat, dass es unmöglich werden soll, auch nur an eine Rebellion gegen das System zu denken, da alle dafür notwendigen Worte getilgt werden sollen. Deshalb formuliert die Hauptfigur Winston Smith auch: »Thoughtcrime is the only crime that matters«. Ein solches Thoughtcrime begehen aber in »Embassytown« die Menschen, als ein neuer Botschafter von der zentralen Kolonialwelt geschickt wird, der – obwohl kein Zwilling – scheinbar »Sprache« spricht. Eine wortwörtlich unfassbare Situation für die Außerirdischen.
Aber so sehr uns George Orwells Vision packt und nicht mehr loslässt – eine schonungslose Vision eines unmenschlichen Systems der Kontrolle und der Zerstörung jeglicher Liebe zwischen den Menschen, so sehr bleibt China Miévilles Welt eine gedankliche Konstruktion ohne wirkliche Substanz. Das fängt schon damit an, dass ausgerechnet die Hauptperson Avice schnell zu einer geisterhaften Person ohne Eigenschaften wird, deren Handlungen der Leser nicht versteht, ja nicht verstehen kann, da er nichts mehr über sie erfährt. Sie wechselt ihre Liebhaber ohne Gefühle zu vermitteln, sie beobachtet und agiert, bleibt aber auf Distanz zum Leser. Manchmal erscheinen kurz Personen, die tatsächlich lebendig wirken, aber sie bleiben leider Nebenfiguren in einem Roman, der in seinem zweiten Drittel zwischen den Zeiten springt und versucht uns die Stolperfallen der Sprache näher zu bringen.
Hier wird aber das zweite Defizit des Romans offenbar. Die Ariekei, die immerhin eine hochentwickelte Zivilisation besitzen, wirken aufgrund ihrer eingeschränkten Sprache, die mehr wie ein Gedankenexeperiment, denn wie eine Sprache wirkt, niemals wirklich intelligent. Dafür ist das Konzept der Sprache zu konstruiert und nicht so durchdacht, dass es überhaupt eine Zivilisation erlauben würde. Tatsache ist sogar, dass die Schilderung der Ariekei im Laufe des Romans immer wieder an halbintelligente Tiere erinnert. Es bleibt auch unklar, warum Aufzeichnungen von Sprache verständlich sind, aber diese nicht von Computern gesprochen werden kann. Vielleicht waren es diese Schwächen im Konstrukt, die China Miéville eine Pause einlegen ließen, als er den Roman schrieb. Wirklich auflösen konnte er sie allerdings nicht.
Und so bleibt »Embassytown« eine konstruierter Roman um ein sprachliches Problem – ein knöchernes Handlungsgerüst ohne Fleisch in Form von interessanten Personen. Für eine Novelle hätte es gereicht, aber als Roman ist es letztlich ein quälend überlanges Gedankenkonstrukt, das sich selbst zu wichtig nimmt.
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