Heyne-Verlag, Taschenbuch 87591
Originaltitel: »Altered Carbon« (2002)
Deutsche Übersetzung: Bernhard Kempen
Titelbild: Chris Moore
München, September 2004, 604 Seiten, 9,95
€, ISBN 3-453-87951-1
Der 1965 in Norwich geborene Richard Morgan arbeitete nach einem Englisch und Geschichtsstudium mehrere Jahre im Ausland, bevor er sich entschloss, freier Schriftsteller zu werden. »Das Unsterblichkeitsprogramm« ist sein erster Roman. Dabei nutzt er verschiedene Ideen des fast vergessenen Cyberpunks der achtziger Jahre, und kombiniert diese mit Ridley Scotts »Blade Runner« und den auf modernen genetischen Forschungen basierenden Thrillern, die Science Fiction Autoren wie Greg Bear, Linda Nagato oder Justina Robson in den letzten Jahren veröffentlichten.
Jahrhunderte in der Zukunft haben sich die grundlegenden gesellschaftlichen Regeln verändert. Leben und Tod liegen nicht mehr alleine in der Hand der Gottes, sondern die Technologie hat das Zepter übernommen. Den Menschen werden Rezeptoren in die Nervenbahnen eingepflanzt. Nachdem dem Tod können diese geborgen werden und damit lässt sich das Bewusstsein –wenn diese Transmitter noch ganz sind – leicht transferieren.
Das Weltall wurde langsam von den Menschen erobert. Auf verschiedenen Kolonien haben sie sich angesiedelt, doch da es keine überlichtschnelle Raumfahrt gibt, dauern die Flüge Ewigkeiten. Stattdessen digitalisiert man inzwischen das Bewusstsein und schickt es per überlichtschnellem Impuls zu den bewohnten Welten. Takeshi Kovacs hat dieses Verschicken mehr als einmal hinter sich, denn er war lange Zeit einer der bekanntesten und brutalsten Elitesoldaten der Regierung. Inzwischen arbeitet er als freischaffender Detektiv bzw. Leibwächter und das bringt ihn natürlich in arge Schwierigkeiten. Im Gefängnis macht man ihm ein verführerisches Angebot: Seine Strafe wird verkürzt, wenn er Laurens Bancroft, einem reichen Industriellen, dabei hilft einen Mord aufzuklären. Das Opfer ist Laurens Bancroft. Der nächsten Inkarnation, die ihm den Auftrag gibt, fehlen einige Stunden im Gedächtnis, und zwar die Zeit kurz vor dem Mord bis zur Wiedererweckung. Natürlich ist Kovacs von diesem Auftrag nicht begeistert, doch fast alles ist besser als Gefängnis.
Auf den ersten Blick klingt dies wie die Handlungszusammenfassung eines schlechten »Film Noirs« der vierziger Jahre. Kein Klischee wird ausgelassen, doch den Kontrast bildet eine faszinierend entwickelte und fesselnde Zukunftsvision. Dabei rechnet der Leser trotzdem jeden Moment damit, die Schlußszene aus Casablanca mit ihrem schmalzigen Freundschaftsbeweis in einer Punkszenekneipe zu erleben.
Die Identität wird reduziert auf die immer im Safe liegende Kopie des eigenen Ichs. Je reicher die Bürger sind, desto näher kann das Update an der Gegenwart erfolgen. Menschen werden damit zu Schemen reduziert und schnell erkennen weder Kovacs noch der Leser, ob er es mit einem Original oder einer Kopie zu tun hat. Obwohl Richard Morgan im grundlegenden Handlungsaufbau verschiedene, bekannte Genreelemente mischt, sind seine Charaktere vortrefflich entwickelt. Das verschiedene Verschlüsseln, Versenden, Auftauen oder Verpflanzen hat den Lebensrhythmus der Menschen noch mehr beschleunigt. Sie leben auf einer Überholspur ohne Sicherheitsplanken.
Erinnerungen an die Internetjockeys und ihren wirren, aber fesselnden Cyberspace werden wach. Und jetzt stellen wir uns die eigentliche Welt als riesige Matrix aus der Feder William Gibsons vor. Schon nähert sich der Betrachter Richard Morgans Vorstellung.
Kovacs wird als rücksichtsloser Söldner mit einer Schwäche für Frauen im Allgemeinen und einer Kameradin im Besonderen geschildert. Auch wenn er mehr als einmal auf die Nase gefallen ist, kann er diese Schwäche nicht ablegen. Der Autor zeichnet Kovacs als eine Mischung aus Rudger Hauer´s Batty in »Blade Runner« und Humphrey Bogart im »Malteser Falke«. Die anderen Figuren wirken mehr schemenhaft und unvollständig. Weder der geheimnisvolle Auftraggeber, noch Kovacs Kameradin können wirklich überzeugen. Zu sehr überschatten die Actionszenen die einzelnen Charaktere. Richard Morgans Waffen sind sexy und gemein zu gleich, doch in ihnen kumuliert nur die Bewußtseinshaltung eines Universums voller Haß und Paranoia.
Diese Gewaltszenen komponiert Richard Morgan wie eine grandiose Ballettaufführung. Obwohl an der Grenze der Erträglichkeit wirken diese Abschnitte nicht sadistisch ausgesponnen, sondern verbinden geschickt die einzelnen spannenden Storyabschnitte. Erst zum Ende erkennt der Autor, daß er sich zu viel zugemutet hat und bemüht sich, die weit gesponnene Krimiebene einzufangen und Kovasc zumindest den Ansatz einer Chance zu geben, dem Täter auf die Spur zu kommen.
In der dunklen Atmosphäre und den surrealen Beschreibungen baut der Autor einen reichhaltigen Hintergrund auf, der wahrscheinlich in den folgenden Romanen – in England ist jetzt der dritte Band dieser lose zu einem Zyklus verbundenen Romane erschienen – besser in die laufende Handlung integriert werden soll. Trotzdem lohnt sich ein Blick auf die künstlichen Intelligenzen, deren Vorbild Jimi Hendrix oder die Marsianer sind. Daneben finden sich perverse Anspielungen, die alleine jeweils für einen oder zwei neue Romane reichen könnten. Im historischen Aufbau seiner Zukunftsvision spielt Richard Morgan mit Utopien und Dystopien im gleichen Verhältnis. Vergleichbar den umfangreichen China Mieville Romanen versteckt sich im Morgan-land hinter jeder Ecke eine neue Lebensgeschichte.
Richard Morgans Figuren haben für diese Einzelschicksale keine Zeit. Vergleichbar einem Steigerungslauf nimmt die Handlung Fahrt auf und führt den Leser durch eine sehr dunkle, aber vertraute Zukunft, in der wundersame technologische Erfindungen durch den täglichen Missbrauch vergewaltigt werden.
Wie die ersten Cyberpunks verfügt Richard Morgan über einen cineastischen Schreibstil. Die vielen Stunden, die er in dunklen Vorstadtkinos verbracht hat, um B-Pictures anzuschauen, schlagen sich in der holzschnittartigen, aber hier passenden Charakterisierung seiner guten oder bösen Figuren und den immer brutaler und unwahrscheinlicher werdenden Actionszenen nieder. Zwischentöne gibt es nicht. Zwischen den Hightech-Fassaden finden sich immer wieder skurrile Anspielungen auf unsere Gegenwart oder besser die dreißiger und vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Diese Vertrautheit befremdet den Leser um so mehr, je weiter Richard Morgan die Fassaden seiner Kunstwelt zum Einsturz bringt. Aus einem von Beginn an nicht einfachen Mord wird eine Verschwörung, die natürlich bis in die höchsten Ebenen reicht. Daß Morgan viele Ideen aus dem bekannten Universum recycelt und getunt wieder vor dem Leser ausbreitet, erkennt man erst, wenn man die Achterbahn verlassen hat.
Auch hat der Autor Schwierigkeiten, die Schraube wieder zurückzudrehen und das Adrenalin zu drosseln. Zu unüberschaubar und über alle Erwartungen zu kompliziert hat er die Ausgangssituation angelegt und schreckt vor einer einfachen Lösung zurück. Diese hätte aber zumindest die vielen losen Fäden eingefangen.
Trotzdem fühlt sich
der Leser nicht betrogen. Zu überzeugend und innovativ überfährt der Autor sein Publikum und im Gegensatz zu David Brins philosophisch ruhiger Betrachtung in »The Kiln People« kommt man auch mit einem Schwerlaster ans Ziel.
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