Aus dem Amerikanischen von Ralf Tatje
Titelbild von James P. Blair
Taschenbuch, 414 Seiten
Bastei-Lübbe, April 2009
Preis: 8,95 €
ISBN 978-3-404-159864-4
Sicher ist es Euch schon oft so ergangen, dass Ihr denkt: Was weiß mein Briefträger eigentlich alles über mich? Und warum bringt er so früh am Morgen die Post? Und bringt er überhaupt die komplette Post – oder vernichtet er einen Teil der Briefe? Nein, Ihr stellt Euch diese Fragen nicht? Ich auch nicht.
In der Presse gibt es zwar immer wieder Berichte über Briefzusteller, die körbeweise Briefe in der eigenen Wohnung horten, um diese nicht austragen zu müssen, aber um so einen Briefträger geht es in Bentley Littles Roman »Böse« nun wirklich nicht. Schnell wird klar, dass wir es hier nicht mit einem harmlosen, vielleicht nur faulen Exemplar der Gattung Postboten zu tun haben. Zumal dieser Austräger auch noch auf den unglaubwürdigen Namen John Smith hört.
Aber der Reihe nach. Die Geschichte beginnt, wie so viele Horrorgeschichten, an einem wunderschönen Sommertag, dem ersten Tag der Sommerferien. Eine schöne Finte legt der Autor zu Beginn. Zumindest ich dachte, ich hätte hier eine Erzählung über einen Schüler vor mir, der die lang ersehnten Ferien begrüßt, und auf den vielleicht das Abenteuer seines Lebens wartet. Stephen King kommt einem in den Sinn (vielleicht auch deshalb, weil er im Werbetext auf der Rückseite des Buches behauptet, das Buch sei nichts für schwache Nerven…). Doch es ist Doug Albin, der zu uns spricht, seines Zeichens Lehrer. Er hat zwar tatsächlich einen pubertierenden Sohn, doch es ist der Vater, der im Zentrum der Geschichte steht. Und diese beginnt mit dem Selbstmord des allseits beliebten Postboten Bob Ronda, der die Bewohner dieser Kleinstadt irgendwo in Arizona fassungslos zurücklässt. Der angebliche Ersatz für den Verstorbenen ist der bereits erwähnte John Smith, und nur Doug erkennt gleich, dass etwas mit dem »Mailman« (so der Originaltitel) nicht stimmen kann. Das wird er auch nicht müde, seiner Mitwelt und uns Lesern immer und immer wieder mitzuteilen, ohne wirklich schlüssige Beweise zu haben. So baut sich keine richtige Spannung auf: John Smith hat rote Haare, wirkt clownesk und ist arrogant. Tja, sehr verdächtig.
Allerdings häufen sich die Indizien, dass der Postbote nicht der ist, der er zu sein vorgibt. Doch Dougs Mitmenschen, von Frau und Sohn einmal abgesehen, erkennen sie nicht oder wollen sie nicht sehen. Nicht nur Doug erhält Briefe von Menschen, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Sein Kollege bekommt Post von dessen vor Jahren in Vietnam gefallenen Bruder – aktuelle, wohlgemerkt! -, und vertauschte und beleidigende Briefe sorgen in der Kleinstadt für böses Blut. Kurzum, von Anfang an ist dem Leser klar, dass es sich bei dem Postboten um ein dämonisches Wesen handeln muss. Zweifel kommen nie auf und die Spannung bleibt so leider auf der Strecke.
Die Spirale des Schreckens dreht sich weiter und weiter, doch das eigentlich Erschreckende für mich war, dass selbst der Amoklauf eines angesehen Bürgers die Bewohner des Ortes und auch den Erzähler nicht aufrüttelt. Das ist reißerisch und hinterlässt einen fahlen Nachgeschmack. Der Geschichte fehlt es an Spannung: Der Leser liest nur weiter, um zu sehen, ob und wann Doug dem Dämonen das Handwerk legen kann. Spätestens als Doug endlich den Gedanken fasst, den Ort zu verlassen, er aber feststellen muss, dass die Gemeinde nicht mehr genug Benzinvorräte hat (auch ein Werk des Postboten), muss an der Intelligenz des Lehrers gezweifelt werden.
Ohne zu viel zu verraten: Eine verblüffend einfache Lösung, das Böse zu besiegen, steht am Ende des Romans, die einen mit den Ungereimtheiten und der fehlenden Spannung etwas versöhnt. Doch klar ist auch, dass es sich hier um einen ziemlich altmodischen Roman handelt (im Original erschien er 1991), denn unter uns: Wer bekommt denn heutzutage noch richtige Briefe mit der Post, von Rechnungen mal abgesehen? Und die Dämonen der E-Mail kennen wir alle, sie heißen allerdings nicht John Smith, sondern Computervirus.