Wie steht es um die Fantasy? – Teil 1

Wie steht es um die Fantasy in Deutschland?
Wenn man in eine beliebige Buchhandlung geht, sollte man eigentlich schnell zu der Meinung gelangen: Phantastisch! Wo sich früher oft nur ein Regal befand, in der sich ein paar vereinzelte Fantasybücher den Platz mit einer Überzahl an Science-Fiction-Romanen teilen mussten, findet man heutzutage neben zwei Regalwänden Fantasy oftmals auch ein Regal, dass nur mit »Vampir« übertitelt ist – und davor drängen sich auf den Tischen mit den aktuellen Neuerscheinungen auch noch Berge von Titeln mit Zwergen, Werwölfen, Rittern und Prinzen. Da sollte eigentlich jeder Fantasyleser glücklich sein!

Fantasy-Buchstapel



Doch die kritischen Stimmen mehren sich. Im Fandom Observer 259 erschien ein Hilferuf von Fantasyleserin Petra Hartmann: »Ich habe die Nase voll von Fantasy von der Stange! (…) Ich will keine Plastik-Bücher mehr lesen. Keine netten »All-Ager« mit Arztroman-Bauplan. Keine Klone von Klonen von Bestsellern. Keine vegetarischen Vampire und erotischen Engel mehr. Kein »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« mit Elfen. Ich will keine aalglatten Marktcharaktere mehr im Buchregal haben, die im Assessment-Center der Großverlage am wenigsten Anstoß erregten.«
SF-Fan.de hat daraufhin drei Fantasy-Experten nach ihrer Meinung zum Stand des deutschen Fantasy-Marktes befragt. Veröffentlichen deutsche Verlage tatsächlich nur noch Fantasy von der Stange? Langweilige Serienware ohne Überraschungen und Ansprüche? Gibt es noch lesenswerte Romane oder gibt es nur noch Quantität statt Qualität in der Fantasy?



Den Anfang macht Markus Mäurer, u.a. Redakteur bei der mit dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichneten Website fantasyguide.de:

Ich habe mit ca. 16 Jahren Mitte der 90er angefangen, Fantasy zu lesen. Damals waren gerade klassische High-Fantasy Erzählungen von Autoren wie Raymond Feist, Dave Eddings oder Terry Goodkind angesagt, ebenso wie von Rollenspielen beeinflusste, ebenfalls klassische Geschichten von R.A. Salvatore oder Margerete Weis und Tracy Hickham. Die typischen Krieger, Elf, Zwerg, Zauberer Gruppenquests. Von einem Boom kann allerdings keine Rede sein. Der kam erst nach den »Herr der Ringe« Filmen, als die Völkerromane von Autoren wie Stan Nicholls (»Die Orks«) und Markus Heitz (»Die Zwerge«) auf die Erfolgswelle aufsprangen und einen beispiellosen Fantasyhype auf dem deutschen Buchmarkt auslösten. Es folgten »Die Elfen«, »Die Trolle«, »Die Goblins« usw. Alles, was man auch nur halbwegs in die Völkerschiene quetschen konnte, erschien mit dem typischen Schwert oder der Axt auf dem Cover.

Dieser Hype hielt sich erstaunlich lange, und ist immer noch nicht ganz abgeebt. In seinem Zuge erschien eine Menge Mist, aber man muss der Entwicklung zugutehalten, dass Fantasy in den Buchhandlungen salonfähig geworden ist, und sich auch für deutsche Fantasyautoren unzählige Publikationsmöglichkeiten auftaten. Vor Markus Heitz, war es für selbige nahezu unmöglich, in einem großen Verlag veröffentlicht zu werden.

Da natürlich ein Abebben des Hypes absehbar ist, suchen die Verlage zwanghaft nach dem nächsten großen Hype. Ob es nun Engel, Zombies oder Vampire sind.

Der Vampirhype hat durchaus nervige Züge angenommen, hat er doch das Genre Horror (das zugegeben, nie wirklich gut lief) aus den Regalen gedrängt. Zurzeit geht der Trend von Vampiren über zur allgemeiner gehaltenen (also auch ohne Vampire) »Paranormal Romance«. Also weichgespülte romantisch angehauchte Nackenbeißer-Literatur mit phantastischem Einschlag, für junge oder jung gebliebene Leserinnen. Verlage wie Egmont/Lyx scheinen ihr gesamtes Geschäftsmodell auf solchen Werken, aufbaut zu haben.

Da die Verlage im Zuge eines solchen Hypes alles auf den Markt werfen, was auch nur entfernt in dieser Richtung einzuordnen ist – unabhängig von der Qualität der Schreibe – erscheint eine ganze Menge Mist. Da ist es schwierig aus den Stapeln in der Buchhandlung die Perlen herauszusuchen. Aber in Zeiten des Internets, wo man sich in Foren und Rezi-Seiten ausreichend informieren kann, sollte auch dies kein Problem sein.
Insofern freue ich mich durchaus über den Boom der Fantasy, auch wenn 80% von dem, was in den Buchhandlungen liegt, nicht meinem Geschmack entspricht. Mir reichen die anderen 20% an außergewöhnlicher Fantasy.

Jetzt komme ich nach der langen Vorrede aber zum aktuellen Stand der Fantasy in Deutschland:
Auch wenn die Buchhandlungen momentan von Vampiren, Engeln und Magieschülerinnen überschwemmt werden, habe ich den Eindruck, dass insgesamt mehr Fantasy erscheint, als noch vor 15 Jahren. Insofern ist dies eine positive Entwicklung. Neben den oben genannten Hypethemen haben sich auch einige interessante Nischen entwickelt. In den letzten Jahren gab es z.B. einen interessanten Trend zu »grim‘ n gritty« – also Fantasy, in der es rauer und härter zur Sache geht. Da sind z. B. Autoren wie Joe Abercrombie und Scott Lynch zu nennen, die sich mit ihren Romanen abseits von den üblichen Fantasypfaden bewegen. Lynch schreibt wunderbare Gauner-Fantasy, also eine Art »Der Clou« oder »Ocean‘s Eleven« in Fantasy. Abercrombie überzeugt durch kantige Charaktere, wie z.B. den verkrüppelten Inquisitor Glockta.

Den herausragenden Fantasyroman der letzten Jahre hat Patrick Rothfuss mit »Der Name des Windes« geschrieben, und zwar in einer stilistisch großartigen Sprache, die die Fantasy-Konkurrenz alt aussehen lässt.

Eine weitere Perle ist das »Long Price Quartett« von Daniel Abraham, das mit »Sommer der Zwietracht« beginnt. Abraham hat eine ganz eigene Welt erschaffen, die von geheimen Gesten und Körperhaltungen geprägt ist. Angesiedelt in einem Händlerumfeld, erzählt er die Geschichte eines Poeten, seines Andaten (so was wie ein Dämon) und eines neuen Schülers. Kein Schwertkampf, keine Schlachten, keine Drachen, dafür ein stimmungsvoll poetisch inszeniertes Ränkespiel.

Einen ebenfalls ungewöhnlichen Fantasyroman hat Ken Scholes mit »Sündenfall« geschrieben. Spielt in einer, von Bibelmotiven geprägten Welt, in der Gelehrte an der Macht sind, und es mechanische Menschen (Roboter) gibt. Aber es ist noch nicht ganz Steampunk, dafür aber eine mitreissende und wendungsreiche Geschichte, die mit gut gezeichneten Protagonisten aufwartet.

Fakt ist leider auch, dass sich diese Romane, die sich deutlich von der Masse des Einheitsbreis abheben, nicht so gut verkaufen. Die originelle, von chinesischen Motiven beeinflusste Reihe von Daniel Fox wurde z. B. nach dem ersten Band wegen schlechter Verkaufszahlen wieder eingestellt. Daniel Abraham wird es mit seiner neuen Reihe ähnlich schwierig auf dem deutschen Markt haben.

Erfreulich ist, dass sich in den letzten Jahren immer mehr deutsche Autoren mit guter Fantasy auf dem Markt behaupten können. Meine persönliche Empfehlung ist Richard Schwartz mit seinem Roman »Das erste Horn« – ein außergewöhnlich guter und atmosphärisch dichter Roman, der komplett in einem eingeschneiten, mysteriösen Gasthaus spielt und eine bedrückend klaustrophobische Stimmung erzeugt. Daraus hat sich die Reihe »Das Geheimnis von Askir« entwickelt, die zwar klassische Rollenspiel-Fantasyelemente aufgreift, aber so gut erzählt ist, dass es gar nicht stört.

Viele Autoren betreten auch mit eher klassischen Geschichten das Feld, entwickeln sich dann aber weiter, und schaffen es, eigene unabhängige Welten zu kreieren. Als Beispiel sei Christoph Hardbusch genannt, der seine ersten Erfolge mit Völkerromanen (»Die Trolle«) hatte, mit der Sturmweltentrilogie aber eine originelle Seefahrer-Fantasyreihe geschrieben hat.

Um sich also die Perlen unter dem ganzen Einheitsbrei rauszusuchen, begibt man sich am besten ins Internet. In Foren wie z. B. der Bibliotheka Phantastika oder auf Seiten wie Fantasyguide.de findet man differenzierte und kompetente Meinungen zu aktuellen und älteren Fantasy-Romanen, die ein guter Leitfaden für eine Kaufentscheidung sein können.

Was mir persönlich ein wenig auf dem Buchmarkt fehlt sind einzelne, abgeschlossene Fantasy-Romane. Die unzähligen Reihen mit ihren Trilo-, Quadro-, Deka- und Kein-Ende-In-Sich-logien hängen mir inzwischen zum Hals raus. Hier wünsche ich mir etwas mehr Mut bei den Autoren und den Verlagen, aber auch bei den Lesern. Denn die Masse der Fantasyleser scheint ja leider das Bekannte (in Form von Endlosreihen) zu bevorzugen.

Markus Mäurer, Jahrgang 1979, geboren und aufgewachsen im Westerwald, wohnhaft in Berlin, ist Redakteur bei der mit dem Deutschen Phantastik Preis ausgezeichneten Website fantasyguide.de und dem Printmagazin PhaseX. Er hat bereits ein Studium der Sozialpädagogik absolviert und zwei Jahre in einer Rehaklinik gearbeitet. Zurzeit studiert er Nord- und Lateinamerikastudien an der Freien Universität Berlin und arbeitet an seiner ersten Literaturübersetzung. Als Leser ist er in allen Genres gerne unterwegs, hat aber eine besondere Vorliebe für Fantasy, Science Fiction und Horror. In diversen Phantastikforen ist er unter dem (überaus albernen) Namen Pogopuschel bekannt.




Teil 2 dieser Artikelreihe ist hier erschienen: http://www.sf-fan.de/artikel-und-news/wie-steht-es-um-die-fantasy-teil-2.html

Eine Diskussion über dieses Thema findet im SF-Forum statt: http://forum.sf-fan.de/viewtopic.php?f=25&t=5524