Ken MacLeod
Die Mars-Stadt
Heyne, TB 06/6384
Titel der Originalausgabe: »The Stone Canal«
Übersetzung aus dem Englischen von Norbert Stöbe
Titelillustration von Chris Moore
April 2002, 9,95 Euro, 478 Seiten
Als Jonathan Wilde eines Tages wieder erwacht, weiß er nicht, wo er sich befindet, doch er hat alle Erinnerungen an sein früheres Leben und auch an seinen Tod. Seine Umgebung wirkt wie eine Siedlung auf einem Mars, der an die Weltraumabenteuer der Fünfziger Jahre erinnert. Und sein Erwecker, der sich als Humanäquivalent vorstellt, sieht zwar wie ein Roboter aus, aber behauptet von sich selbst auch Jonathan Wilde zu sein. In einer der zahlreichen Siedlungen, die nur von Einzelgängern und Außenseitern bewohnt zu sein scheinen, trifft Jonathan auf eine Nachbildung seiner Frau, die sich erst vor kurzem aus ihrer Rolle als ergebene Sexsklavin befreit hat.
Parallel dazu lernen wir in zahlreichen Rückblicken die Geschichte des ‚echten‘ Menschen Jonathan Wilde kennen, der in den Siebziger Jahren in Glasgow lebte und studierte und mit seinem Freund David Reid politische Diskussionen führte, Demonstrationen besuchte und das Leben in vollen Zügen genoß…
Ich muß gestehen, daß ich die Lektüre von Ken MacLeods ersten Roman „Das Sternenprogramm“ nach ungefähr 150 Seiten enttäuscht abgebrochen habe. Man stolpert als Leser hier andauernd über lieblos zusammengefügte Versatzstücke aus den Romanen von Autoren wie Iain Banks oder Peter F. Hamilton und da sich nach 150 Seiten keine nennenswerte Handlung oder gar Spannung entwickelte, flog der Roman damals in hohem Bogen ins Eck – schließlich gibt es so viele interessante und lesenswerte neue Science Fiction-Bücher jeden Monat, daß man damit nicht seine Zeit verschwenden sollte. Trotzdem bin ich gerne bereit einem Autor eine zweite Chance zu geben, besonders da man bei Heyne sehr von den Qualitäten Ken MacLeods überzeugt zu sein scheint, schließlich erscheint dort demnächst bereits sein innerhalb sehr kurzer Zeit vierter Roman.
Leider führt Ken MacLeod auch in „Die Mars-Stadt“ kaum einen Gedanken oder eine Idee zu Ende. Er benimmt sich wie ein Kind im Ideenladen der SF und will alles mal eben kurz ausprobieren, doch wie ein Kind mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne verliert er schon nach wenigen Seiten wieder die Lust daran und vergißt es wieder. So finden wir hier mal kurz Nanotechnologie, dann mal etwas modernern Kommunismus, dann mal Virtuelle Realitäten und so weiter. Ein klares Konzept läßt sich darin nicht entdecken und der Autor versäumt es diese Dinge wirklich in seine Handlung einzubetten, wie es z.B. Peter F. Hamilton immer wieder hervorragend gelingt. Auch alle geäußerten politischen Aussagen und Prognosen bleiben stets bruchstückhaft, oder völlig banal: es zeugt von einem etwas komischen Weltbild und Ideenlosigkeit, wenn man als Auslöser für den Dritten Weltkrieg einen (nicht näher erklärten) Einmarsch deutscher Truppen in Polen nimmt.
So verwundert es nicht, daß der Roman letztlich ohne wirkliche Auflösung endet und sich statt dessen in eine neue Geschichte stürzt, die im nächsten Roman „Die Cassini-Division“ erzählt wird. Allerdings dann sicher ohne mich.
Dabei sind es gerade die Rückblicke auf die Vergangenheit Jonathan Wildes die unterhaltsamsten Passagen des ganzen Romans, denn hier muß sich Ken MacLeod ein wenig zügeln und schafft es dann auch ein wenig zu „erzählen“. Nur in diesem Teilstrang schafft er es seine Hauptperson zum Leben zu erwecken – Wilde verliebt sich, sucht nach einem Weg durch das Chaos des Lebens in den siebziger und achtziger Jahren und wird schließlich für kurze Zeit dann sogar zu einem Händler für Weltraumdevotionalien. Nett in diesem Zusammenhang der kurze Verweis auf einen Science Fiction-Con in Glasgow – vielleicht war hier sogar der WorldCon 1995 gemeint.
Die Übersetzung von Norbert Stöbe ist etwas trocken und schwunglos geraten und verpaßt so manche schön zu lesende Textpassage des Originals, aber dafür ist sie – abgesehen von einigen wenigen ganz offensichtlichen Fehlern, die ein etwas unaufmerksames Lektorat vermuten lassen („Die Teilnehmer stellten bunt zusammengewürfelte Mischung von Exilanten dar – aus Amerika, Chile, Südafrika und sogar von der anderen Seite.„, S. 37 Mitte), – wenigstens halbwegs fehlerfrei.
Unnötig ist der deutsche Titel des Buches, denn schließlich spielt keine Zeile des Buchs auf dem Mars und man kann nur vermuten, daß man damit versuchte sich an den Trend der zahlreichen Mars-Romane anhängen zu wollen. Und auch der Klappentext stimmt mit dem Inhalt des Romans nur teilweise überein, schreibt den Nachnamen von David Reid falsch und vergißt darüber hinaus auch noch zu erwähnen, daß „Das Sternenprogramm“ und „Die Cassini-Division“ von Ken MacLeod im selben Universum spielen.