Mark Z. Danielewski – Das Haus

Das Haus

Originaltitel: »House of Leaves«
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Christa Schuenke
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2007
Hardcover, Großformat, 797 Seiten
ISBN 978-3-608-93777-0, 29,90 €

Der Fotograph Navidson zieht mit seiner Familie in ein altes Haus in der Ash Tree Lane. Den Umzug und das Einleben in die neue Umgebung möchte er mit einem Film dokumentieren. Doch in dem Haus gibt es merkwürdige Unregelmäßigkeiten; die Wände scheinen sich zu verschieben und es gibt ein Zimmer, das eigentlich nicht existieren dürfte: ein dunkler leerer Raum, kalt und ohne Licht, der zu weiteren Kammern, Korridoren und Treppen führt. Navidson will das Geheimnis dieser leeren Räume ergründen und beginnt, sie mit seiner Kamera zu erkunden …

Was wie eine spannende Horrorgeschichte klingt, ist nur die Kernidee dieses ungeheuren Buches. Danielewski geht davon aus, dass Navidson tatsächlich einen Film über das Haus gedreht und ins Kino gebracht hat. Der Text des Buches besteht zum Teil aus der detailierten Analyse dieses Films, geschrieben von einem alten Mann namens Zampanò, der auf ungeklärte Art ums Leben kam. Sein chaotisches und lückenhaftes Manuskript über den Navidson-Film wird von einem gewissen Johnny Truant gefunden, neu zusammengesetzt und kommentiert. Truant ist jedoch kein gewöhnlicher Herausgeber; er ist Praktikant in einem Tatoo-Shop, wirft alle möglichen Pillen und Drogen ein und leidet unter Angst-Attacken, die durch die Arbeit an dem Manuskript zunehmend verstärkt werden. Seine Kommentare nutzt er, um aus seinem eigenen Leben in L.A. und seiner hoffnungslosen Liebe zu der Stripperin Thumper zu erzählen. Zu Truants Randbemerkungen gibt es wiederum Fußnoten der anonymen Herausgeber, Querverweise, Zitate, Texteinschübe, Quellennachweise, Gedichte, Briefe – dies alles in verschiedenen Schriftarten und vielfältigem Satzspiegel, bis hin zu Seiten in Blindenschrift, Spiegelschrift, verschlüsselter Schrift… Kurzum: Das Buch wird selbst zu einem rätselhaften Labyrinth aus Geschichten, Anspielungen, Zitaten, gefälschten Zitaten, echten und falschen Quellen.

Doch »Das Haus« ist nicht nur ein literarisches Experiment und ein haltloses Spiel mit Erzähltechniken und Typographie. Danielewski läßt seine Figuren und ihre menschlichen Reaktionen nie aus den Augen, gibt ihnen Raum für Witz und Melancholie. Trotz des Wechsels zwischen Gossensprache und wissenschaftlicher Abhandlung, sind die Texte des Buches immer lesbar und oft sogar poetisch. Der kulturwissenschaftlichen Bildungs-Overkill, der durch die Fußnoten tobt, wird mit dem abgeklärt pragmatischen Jargon des Herausgebers Truant konfrontiert, so dass man – wenn man will – das Ganze auch als Satire auf einen Expertenbetrieb lesen kann, in dem jeder meint, alles kommentieren und analysieren und jedem Komma eine Bedeutung zumessen zu müssen, um die jeweilige intellektuelle Nische zu rechtfertigen. Doch richtet sich diese Satire nie gegen die Bildung selbst und die Faszination der verschiedenen wissenschaftlichen und literarischen Quellen. »House of Leaves« ist also vor allem ein Buch, das man auf verschiedene Arten lesen und verstehen kann, und das – wie alle großen Werke der Literatur – jedem Leser die Möglichkeit gibt, die eigene Wahrheit zu suchen und zu finden.

Besonders hervorzuheben sind in diesem Fall die Leistungen der Übersetzerin Christa Schuenke und ihrer Helfer, des Lektors Hannes Riffel und des Setzers Ronald Hoppe, die auch die deutschsprachige Ausgabe zu einem Gesamtkunstwerk gemacht haben.

»Das Haus / House of Leaves« ist der originellste Roman des Jahres und bringt das Genre der Schauerliteratur und Gespenstergeschichte auf den Stand des 21. Jahrhunderts. Empfehlenswert für alle Freunde anspruchsvoller Phantastik und moderner Literatur.