Originaltitel: »Broken Angels«
Aus dem Englischen von Bernhard Kempen
Mit Fotos / Illustrationen von Christopher Moore
München, Mai 2005, 592 Seiten, 8,95
€, ISBN 3-453-52051-3
Hauptfigur – dem Killer Takeshi Kovacs – ausgestattet, präsentiert sich dieses Werk genauso rasant und intensiv geschrieben. Doch die eigentliche Handlung ist – trotz der Nutzung einer klassischen Kontaktsituation mit den Hinterlassenschaften einer fremden Rasse durch ein zusammengewürfeltes und in sich selbst feindliches Team – durchdachter konzipiert und auslandender angelegt.
Obwohl sich Kovacs von dem Desaster seiner letzten Mission erholen muß, erhält er Informationen über die verblüffende Entdeckung eines Artefaktes der sogenannten Marsianer. Diese Aliens stammen nicht vom roten Planeten, sondern dort wurden zum ersten Mal vor mehreren hundert Jahren Überreste ihrer Zivilisation entdeckt. In klassischer »Stalker«-Manier müssen sich die Menschen mit einer ihr unverständlichen Erbschaft auseinandersetzen.
Diese Begegnungen zeigen ihnen die innerliche Unreife und den ungebrochenen Willen zum Bösen deutlich auf. Takeshi Kovacs greift nach diesem Auftrag und befindet sich bald mit einem Team auf dem Weg nach Sanction IV. Vorher hat er den eigentlichen Entdecker des Artefaktes aus einem futuristischen Konzentrationslager befreit und kann mit der Hilfe eines Konzerns aufbrechen.
Richard Morgan nutzt einen klassischen Rahmen um seine Geschichte zu erzählen. Der schwerverletzte Kovacs wird mit seinem Team auf einem Hospitalraumschiff um Sanction IV im wahrsten Sinne des Wortes abgeladen. Hier kann er schließlich seine Geschichte erzählen. Die Mission beschreibt der Autor in einer Mischung aus Dreck und Blut. Seine Charaktere leiden, Waffen schlagen verheerende Wunden und obwohl der Tod durch die Reinkarnation in Form eines Clonings mit der Übertragung des gespeicherten Gedächtnisses überwunden worden ist, ist das Sterben schmerzhaft und nicht immer einfach.
Zusätzlich verbindet er diese militärische Pornographie voller Leid, Schmerz und grenzenloser Verwüstung mit der menschenverachtenden Habgier großer Konzerne. Mit diesem Ansatz extrapoliert er die klassischen Züge des Cyberpunks und fügt ihnen durch ein Stakkato von auch stilistisch eindrucksvollen Blitzlichtern eine neue Dimension hinzu. Auch wenn die Raumsoldaten hart wie Stahl und die Waffen an tödlicher Präzision nicht zu übertreffen sind, kommt kein Glamour auf. Im Grunde dienen die Fußsoldaten genau wie heute als Kanonenfutter, um die Taschen einiger weniger auf Kosten vieler oder dem Rest zu füllen. Diese Inszenierung wirkt phasenweise holzschnittartig und läßt viel Raum für Opposition. Der Ansatz kritischer Unterhaltung ist zwischen den Zeilen zu spüren, doch um diesen Kern herum hat Morgan einen rasanten Unterhaltungsroman plaziert, der wenig Raum fürs Nachdenken läßt. Atmosphärisch erinnert vieles dieser Geschichte an die verlorenen Forscher aus Alistair Reynolds Novelle »Diamond Dogs«, die auf dem Planeten Golgotha ebenfalls ein fremdes Artefakt – in diesem Fall einen Turm – erkunden. Beide Werke nehmen Bezug auf Joseph Conrads klassische Geschichte »Heart of Darkness«, in dem sie an Hand einer von vorneherein zum Scheitern verurteilten Reise ins Innere ihrer Figuren eindringen und deren Schwächen gnadenlos bloßlegen. Ein Francis Ford Coppola in »Apocalypse Now«-Form könnte aus diesem Roman einen psychotischen Trip ins eigene Ich überdimensional grell und markerschütternd ehrlich auf die Leinwand werfen. Wie Martin Sheen in dem eben angesprochenen Film, legt Richard Morgan das Gewicht seines Werkes auf die Schultern seiner Schöpfung: Takeshi Kovacs.
Seine Brutalität ist Bestandteil seiner fortwährenden Existenz. Morgan beschreibt es als zynisch, die menschliche Seele zerstörend und lebensverneinend. Jeglicher Heroismus und Ruhm werden stellvertretend der anonymen Masse von Voyeuren von den sprichwörtlichen Feiglingen der Rahmenhandlung in das Geschehen übertragen. Aus ihren Bemerkungen läßt sich die Verachtung des Autoren denjenigen gegenüber ablesen, die nicht wissen, wovon sie sprechen , während aus Kovacs Perspektive jegliche Heldenverehrung durch sinnloses Leiden und den Tod vieler Unschuldiger ad absurdum geführt wird.
Sein erster Roman »Das Unsterblichkeitsprogramm« setzte sich mit der Entmenschlichung durch technologischen Fortschritt auseinander und beschrieb drastisch die beiden gesellschaftlichen Gruppen, in die sich die Bevölkerung in ferner Zukunft aufspalten wird: die Armen, die immer die Opfer sind, ohne Chance, aus dem Teufelskreis der immer größer werdenden Ghettos auszubrechen und die Reichen, deren Stern in Morgans Welt am hellsten strahlt. Ob es der Beginn einer Götterdämmerung mit dem Sieg über den größten Feind – den Tod – ist oder der Augenblick vor dem endgültigen Verlöschen, läßt der Autor in beiden Büchern offen. Dabei ist die zugrunde liegende Idee einer Welt im Griff gesichtsloser Konzerne genauso bekannt wie die Erforschung eines fremden Artefaktes und die Schwierigkeit, etwas zu erforschen, was man nicht versteht.
Stilistisch anspruchsvoll, mit einem Hang zum Overkill und einer wahren Flut erdrückender Bilder, bläht er die im Kern simple Geschichte auf und reißt seine Leser mit. Er erweckt damit nicht den Eindruck, Ideen zu wiederholen oder gar zu kopieren, sondern geht – wie z.B. Neal Asher in seinen skurrilen Science Fiction-Romanen – einen eigenständigen, wenn auch nicht für die breite Masse nachvollziehbaren Weg. Oft fällt es schwer, die Sympathieebene zu den verschiedenen Charakteren aufzubauen und darum wirkt ihr Leiden nicht nur sinnlos, sondern sadistisch in die Länge gezogen. Integrierte er in »Das Unsterblichkeitsprogramm« Elemente klassischer Krimis in seine überdrehte Handlung, so konzentriert er sich hier auf die Space Operas des Golden Age und zeigt sie uns aus der verzerrten Perspektive eines drogenabhängigen, Sonnenbrillen tragenden, zukunftslosen Cyberpunks. Geschickt spielt er mit den Erwartungen seiner Leser und versucht, andere Elemente in den Vordergrund zu stellen.
In seinem ersten Roman präsentierte uns Richard Morgan seinen Protagonisten Takeshi Kovacs als Fisch außerhalb des Wassers. Er fühlte sich in seiner aufgezwungenen Detektivrolle nicht wohl. Er ist ein ausgebildeter Killer, dem es mehr liegt, seine Probleme um die Ecke zu bringen, als minutiös zu durchdringen. So erschien er charakterlich mehr gestreßt, als die actionreiche Handlung ihm ansonsten abverlangte. In diesem Roman kann Kovacs endlich auf seine Ausbildung zurückgreifen. Ihm stehen verschiedene Waffen, die moderne Technologie und schließlich ausreichend Raum für Sex und Gewalt zur Verfügung. Darum lehnt sich das Buch mehr an die typische Military-SF an. Neben der interessanten und oft innovativ in Szene gesetzten Technik; kreativen, aber dramatisch und nicht unkritisch in Szene gesetzten Gewaltszenen und einem futuristischen Jargon – einer Mischung aus Slang und verschiedenen Kunstbegriffen – gelingt es Morgan, typische Klischees dieses Subgenres zu seinem Vorteil zu nutzen, bekannte Handlungselemente umzudrehen und schließlich einen interessanten und phasenweise packenden Spannungsbogen in seinem zweiten Roman zu präsentieren. Einiges seiner stilistischen Frische und unbekümmerten »Anything Goes«-Manier im Vergleich zum ersten Buch »Das Unsterblichkeitsprogramm« ist im Zuge der Transformation von einem enthusiastischen Geschichtenerzähler zu einem selbstsicheren Autor verlorengegangen, doch im Kern seines Romans findet sich immer noch ein sehr packendes Garn.
Zwischen den knapp sechshundert Seiten finden sich eine Menge Zynismus, Zorn und grenzenlose Action mit einem Erzähler am Steuer, der einen Schritt weitergeht als die inzwischen in Rente gegangene Generation der Cyberpunks.