Heinz-Jürgen Ehrig ist tot. Plötzlich und völlig unerwartet ist er am 17. Oktober 2003 gestorben. Mit ihm verlieren wir Mitglieder der SF-Clubs „Andymon“ und „Science Fiction Club Berlin“ nicht nur einen guten Freund, die deutsche SF-Szene verliert eine ihrer herausragenden Persönlichkeiten.
Bereits seit seinem achten Lebensjahr war Heinz regelmäßiger Science-Fiction-Leser, die „Initialzündung“ zum SF-Enthusiasten erfolgte, wie er es selbst oft berichtete, durch ein Utopia-Heft, das ihm 1954 in die Hände fiel und ihn nicht nur durch die enthaltene Jim-Parker-Story, sondern auch die abgedruckten wissenschaftlichen Hintergrundartikel begeisterte. Ab diesem Moment wurde er zum leidenschaftlichen Sammler von Science Fiction in allen medialen Formen, von Romanheften über Bücher, Comics, Sammelbilderalben, Zeitschriften, Zeitungen und Fanzines bis hin zu SF-Filmen und -Hörspielen. Im Alter von 13 Jahren trat er dem gerade gegründeten Science Fiction Club Deutschland (SFCD) bei, dessen Vorsitzender er Jahre später werden sollte. Dies war der Anfang einer bis zu seinem Tode ununterbrochenen Tätigkeit im Science-Fiction-Fandom, von der hier nur ein paar Streiflichter angeführt werden sollen: seit 1962 im Science Fiction Club Berlin, dessen langjähriger Vorsitzender er wurde, Mitbegründer der INCOS, der „Interessengemeinschaft Comicstrip“, und – besonders in seinen letzten Lebensjahren – Spiritus rector des Berliner Science Fiction Clubs „Andymon“; Herausgeber und Mitherausgeber zahlloser Fanzines wie Anabis, Guul, Slan, Bärzin und vieler Publikationen der INCOS. Außerdem entwickelte er die Andromeda Nachrichten, das Mitteilungsblatt des SFCD, und war Mitorganisator mehrerer Science-Fiction-Conventions.
Seine beispiellose Sammelleidenschaft – bis zu seinem Tode trug er etwa 140.000 Stücke zusammen, die wohl größte Sammlung dieser Art in Deutschland – war gepaart mit einer anhaltenden Lesebegeisterung; er sammelte nicht um des Sammelns willen, sondern las praktisch in jeder freien Minute. So wurde er zu einem der besten Kenner deutscher Science Fiction und besonders der deutschen Vorkriegs-SF. Davon zeugen nicht nur zahlreiche Vorträge, die er u. a. zur SF in der Weimarer Republik oder im Nationalsozialismus hielt, sondern auch unzählige Sekundärwerke vom Heyne SF-Lexikon bis zur Großen illustrierten Bibliographie der Science Fiction in der DDR, deren Mitarbeiter er war.
Zu seinen herausragendsten Eigenschaften gehörte neben Freundlichkeit und Bescheidenheit eine ungeheure Hilfsbereitschaft. Jeden, der sich mit Fragen zur Science Fiction in Deutschland an ihn wandte, ließ er uneigennützig an seinem Wissen teilhaben. Dass nicht alle Autoren diese Hilfe in ihren Werken zu würdigen wussten und aus Eitelkeit oder nur schlicht Gedankenlosigkeit ihn als Quelle verschwiegen, gehörte zu den ständig wiederkehrenden Kümmernissen seines Lebens. Doch der Ärger darüber verrauchte meist schnell, und wir als seine Freunde bekamen an dieser Stelle immer sein Lebensmotto „Nicht jammern“ zu hören.
Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Heinz mit seiner Frau, der SF-Autorin Marianne Ehrig (alias Marianne Sydow) im kleinen märkischen Dorf Buckau. Hier hatten sich die Urberliner ein Haus gekauft, eine ehemalige Gaststätte mit einem großen Saal, um seinen Lebenstraum zu verwirklichen: alle seine Sammlungsstücke in einer „Villa Galactica“ zugänglich zu machen. Die meisten Leser dieser Zeilen werden die Probleme kennen, schon ein paar Hundert bis wenige Tausend Bücher in ihrer Wohnung unterzubringen und sie gleichzeitig einigermaßen zugänglich zu halten. Nun stelle man sich diese Schwierigkeiten mit 140 000 Stücken vor… In den letzten Jahren hatte Heinz immer öfter Anfragen zur utopisch-phantastischen Literatur in Deutschland damit bescheiden müssen, dass die meisten Stücke seiner Sammlung noch nicht ausgepackt seien, doch nach der Renovierung des großen Saals und dem Aufstellen der meisten Regale sollte dieser Zustand nun bald ein Ende haben. Dann riss es ihn plötzlich aus dem Leben. Wohl selten trifft der viel gebrauchte Satz von einem viel zu frühen Ende so treffend zu wie in seinem Fall. Ich sehe uns noch eine Woche vor seinem Tod beim Clubtreffen von „Andymon“ sitzen und Pläne für mehrere Sekundärpublikationen schmieden. Endlich sollte sein ungeheures Wissen zur SF nun auch mit ihm selbst als Autor und Co-Autor Papierform annehmen. Es ist immer noch nicht zu fassen, dass wir die Arbeit daran nun allein fortsetzen müssen. Auch wenn wir dank Marianne Ehrig, die die Sammlung erhalten will, weiter auf die Primärquellen zugreifen können, lässt sich schon heute sagen, dass die geplanten Publikationen ohne ihn nicht die Qualität erreichen werden, wie es mit ihm möglich gewesen wäre, denn niemand von uns kann das lebenslang angeeignete Wissen von Heinz kompensieren.
Uns bleibt die Erinnerung an zahllose Clubabende, die er mit seinen lebendigen Erzählungen über die SF in Deutschland bereicherte, an sein enzyklopädisches Wissen, mit dem er auch die abgelegenste Frage zum Thema meist prompt beantworten konnte, die Erinnerung an einen guten Freund, der auch menschlich ein ganz Großer war.
Ad astra Heinz
© Hans-Peter Neumann 2003
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