Marcus Hammerschmitt veröffentlicht seit 1995 Science Fiction und erhielt für seine Kurzgeschichten zweimal den Deutschen Science Fiction Preis (1996 und 2007) zugesprochen. Im Februar 2011 erschien mit »Azureus & Pygmalion« der vierte Jugendroman des Tübinger Autors Marcus Hammerschmitt im Sauerländer-Verlag.
Darin geht es um den jungen Scout Azureus, der für Geld im »Dorf«, wie die virtuelle Welt des Internets genannt wird, alles mögliche aufstöbert. Doch nachdem er sich erst einen Troll einfängt, wird er auch noch entführt und soll sich auf die Suche nach einem geheimnisvollen Buch machen. Doch das ist kein normaler Auftrag und schon bald sind sämtliche Sicherheitsleute des Dorfs hinter ihm her…
Wir haben mit Marcus Hammerschmitt über seinen aktuellen Roman, den Erfolg der All-Ager-Literatur und Schullesungen gesprochen.
Kannst Du uns ein wenig über die Handlung Deines neuen Romans »Azureus & Pygmalion« erzählen?
Gerne. »Azureus & Pygmalion« spielt in einer Zeit, in der das Internet so selbstverständlich geworden ist, dass man es „das Dorf“ nennt – frei nach dem Spruch, dass die Welt ein Dorf ist. Azureus, der Held des Romans, ist ein Scout in diesem Dorf, ein Informationsschnüffler, der findet, was andere übersehen. Und ihm wird bei der Suche nach einem geheimnisvollen Buch das Abenteuer seines Lebens geboten. Das Buch mischt Elemente von Science Fiction und Fantasy und sprengt so die Grenzen beider Genres.
Wie weit ist der Weg von den Virtuellen Welten des Cyberspaces von William Gibson aus den 1980ern zu Deinem Bild des Internets als ein Dorf?
Kurz und weit zugleich. Es ist dasselbe Konzept von der zweiten, der elektronischen Wirklichkeit, aber die Haltung dazu ist ganz anders. Gibson stellte die Sache noch als etwas Sensationelles, Ungeheures dar, als eine »Frontier«. In »Azureus & Pygmalion« ist diese Frontier Geschichte, sie ist so gewöhnlich geworden, dass man sie erstens gar nicht mehr so sehr als einen separaten Bereich wahrnimmt und zweitens als das »Dorf« bezeichnet. So lautet das Motto des Romans »Die Welt ist ein Dorf«, und das Dorfleben strahlt immer in das wirkliche aus, es gibt eine Überlappung, die für völlig normal gehalten wird. Wie Azureus allerdings entdeckt, ist diese ganze Gewöhnlichkeit auch nur scheinhaft …
Das fiel mir auch auf – Dein Dorf ist ja doch etwas anderes als nur ein Simulation unserer Welt. Es ist gleichzeitig ein Abbild, mit ähnlichen Regeln wie die reale Welt, aber auch ein magischer Bereich, in dem manch seltsames passieren kann…
Ja, das Buch beschäftigt sich auch mit der bekannten Behauptung, dass eine hinreichend fortgeschrittene Technologie von Magie nicht mehr zu unterscheiden ist. Und in der Tat bewegen wir uns ja auf eine solche Situation zu. Nicht umsonst werden neue Gadgets gerne von den Herstellern »magisch« genannt – das ist zwar Marketinggerede, aber eben nicht nur. Die Grenzen zum Wunderland beginnen zu verschwimmen. Heute habe ich davon erfahren, dass in einem Online-Rollenspiel demnächst virtuelle Drogen gehandelt werden dürfen. Das ist schon auf eine unbehagliche Art „magisch“, was da passiert.
Wenn man sich Deine bisherigen Romane ansieht, dann stellt man fest, dass Du kein Freund von Fortsetzungen bist. Warum eigentlich nicht? Gerade Azureus & Pygmalion eröffnet eine so komplexe Welt, dass darin doch Platz genug für noch mehr Geschichten wäre?
Fortsetzungen langweilen mich.
»Azureus & Pygmalion« ist Dein mittlerweile vierter Jugendroman. Warum bist Du zum Jugendroman gewechselt? Sind die Veröffentlichungschancen für Science Fiction in diesem Bereich besser?
Ich kann nicht behaupten, dass ich aus freier Entscheidung zum Jugendbuch gewechselt bin. Als mehr oder weniger klar war, dass der Argument-Verlag seine »Social Fantasy«-Serie einstellen würde, und als drei meiner phantastischen Romane für Erwachsene unveröffentlicht blieben, fragte mich die damalige Jugendbuch-Lektorin von Patmos-Sauerländer, ob ich nicht was in der Schublade hätte. Da traf sich gut, dass ich gerade eine Erzählung mit jugendlichen Protagonisten plante; daraus wurde dann »Das Herkules-Projekt«. Dass dem noch drei weitere Bände folgten, freut mich; es ist ja ein persönlicher Rekord, dass vier meiner Bücher hintereinander bei einem Verlag erscheinen.
Soll das heißen, Du hast drei fertige Science-Fiction-Romane sozusagen auf Halde liegen?
Drei Phantastik-Romane, von denen einer ein lupenreiner Science Fiction-Roman ist. Den zweiten würde ich als »Literarische Phantastik« beschreiben, der dritte ist ein Gemisch aus Satire, Alternate History, politischem Roman, Krimi und anderen Dingen. Interessanterweise ist letzterer zwar bereits in der Schröder-Ära entstanden, aber durch das »Stuttgart 21«-Projekt überraschend aktuell geworden.
Verzeih, dass ich da etwas darauf herumreite, aber hast Du schon über eine Veröffentlichung als E-Book nachgedacht?
Ich habe ja nun einige E-Books am Start: http://bit.ly/fgGwqQ Die Umsätze sind so übersichtlich, dass das eigentlich nur als Zweitverwertung Sinn macht.
Was macht einen Romane wie »Azureus& Pygmalion« für Dich eigentlich zu einem Jugendroman? Ist es allein das Alter der Hauptperson oder auch die Geschichte?
Ich habe bei all meinen Jugendromanen darauf geachtet, dass sie auch für Erwachsene interessant sein könnten, die sich trauen »so was« in die Hand zu nehmen. Und warum sollte das auch nicht so sein? Sind die Zeiten von Hanni & Nanni nicht wirklich vorbei? Oder sollten sie es nicht in jedem Fall sein? Ich habe nie begriffen, warum Kinder- und Jugendliteratur daran zu erkennen sein soll, dass die erzählten Geschichten auf Leser minderer Intelligenz mit Hang zum Biedersinn abzielen. »Azureus & Pymalion« kann man aber von vornherein als »All-Ages«-Stoff ansehen, der Held ist kein Jugendlicher mehr, sondern ein junger Erwachsener, und seine Konflikte sind auch erwachsener Natur, die er allerdings mit jugendlicher Nonchalance zu meistern sucht. Dass das nicht so ganz funktioniert, ist Teil der Erzählung.
Erhältst Du zu Deinen Jugendbüchern mehr Resonanz von Lesern, als zu Deinen früheren Romanen?
Sagen wir mal: interessantere Resonanz. Da sind die Jugendlichen, die das Buch in der Schule lesen und ein Referat dazu machen wollen. Einer davon, ein 13-jähriger Hauptschüler, hat mich privat angerufen, ich habe darüber in meinem Artikel „Die neuen Autonomen?“ berichtet [pdf, ab S. 4].
Schullesungen können einem Schriftsteller die schrecklichsten und schönsten Berufserfahrungen bieten, ich habe Beispiele für beides erlebt. Da ist eine Direktheit, die man bei Erwachsenen nicht mehr hat.
Was kann man denn als Autor Schreckliches bei Schullesungen erleben?
Allgemein ist das Bestreben der Lehrer von Übel, für die seltenen Schulauftritte von Autoren ein möglichst großes Publikum zusammenzutrommeln. Wenn die Pädagogen diesen Sack Flöhe dann nicht im Griff haben, kann es schon mal unschön werden. SMS-Süchtige, die mit ihren Handys rummachen; kleine dicke Mädchen, die sich unter deutlichem Schmatzen noch mehr Fett anfuttern; ein Lärmpegel, bei dem wirklich niemand mehr was versteht – alles schon erlebt. Aber auch das Gegenteil. Die beste Schullesung, die ich je hatte, fand an einer Berufsschule auf der Schwäbischen Alb statt. Die Zuhörer kamen im Blaumann direkt von der Werkbank, außerdem waren sie von den Lehrern genötigt worden, einen Zuschuss zu meiner Gage zu zahlen. Ich dachte: Das wird die absolute Katastrophe, also Augen zu und durch. Habe selten ein aufmerksameres, interessierteres Publikum erlebt.
Wie beurteilst Du als Leser und Autor den Trend zur »All-Age«-Literatur, der sich immer noch stärker durchsetzt?
Was gab es früher Spannenderes, als im Bücherschrank der Eltern herum zu forschen? Was macht mehr Spaß als im Erwachsenenalter noch einmal »Die grüne Wolke« und »Der Krieg der Knöpfe« zu lesen? Die Aufteilung in Alterssegmente ist zu großen Teilen ein Marketing-Phänomen. Wenn da Bewegung hinein kommt, kann ich das nur begrüßen.
Spiegelt sich diese Autonomie, als dieses verstärkt mögliche Ausbrechen aus den traditionellen gesellschaftlichen Einschränkungen auch in Deinen Romanfiguren wieder?
Das glaube ich ganz bestimmt. Es sind ja oft skeptische, rebellische oder auch nur genervte Jugendliche, die ich in meinen Büchern darstelle. Also überzeichne ich hauptsächlich das Bild des Jugendlichen, der ich selbst war. Beim Schreiben von All-Ages-Literatur mit jungen Protagonisten kann ich meine Pubertät aufbrezeln und kriege dafür noch Geld. Ist das nicht großartig?
Biographie von Marcus Hammerschmitt:
Marcus Hammerschmitt wurde 1967 in Saarbrücken geboren und wuchs im Saarland auf. 1985 machte er dort sein Abitur und zog nach Tübingen, um dort Philosophie und Literatur zu studieren. 1993 schloß er sein Studium mit einer Magisterarbeit über Theodor W. Adornos »Minima Moralia« ab.
Seine Schriftstellerei entwickelte sich parallel zu seiner schulischen und universitären Ausbildung. Seit 1982 hatte er geschrieben, 1985 kam es zu ersten Veröffentlichungen. Mit der Produktion seines ersten Hörspiels (»Der silberne Thron«, 1994, Südwestfunk / SWF, heute SWR) betrachtete er sich als professionellen Autor. Marcus Hammerschmitt hat in verschiedenen Häusern Bücher veröffentlicht, derzeit ist sein Stammverlag Patmos/Sauerländer in Düsseldorf.
Romanbibliographie:
1995 Der Glasmensch, Suhrkamp Verlag, ISBN 3-518-38973-4
1997 Wind, Suhrkamp, ISBN 3-518-38973-4
1998 Target, Suhrkamp, ISBN 3-518-39347-2
1999 Instant Nirwana, Aufbau Verlag, ISBN 3-351-02793-1
2000 Der Opal, Argument Verlag, ISBN 3-88619-960-6
2001 Der Zensor, Argument Verlag, ISBN 3-88619-970-3
2002 PolyPlay, Argument Verlag, ISBN 3-88619-974-6
2002 Das geflügelte Rad, Oktober Verlag, ISBN 3-935792-23-9
2006 Das Herkules-Projekt, Sauerländer-Verlag, ISBN 3-7941-7043-1
2007 Der Fürst der Skorpione, Sauerländer-Verlag, ISBN 3-7941-7046-3
2010 Yardang, Sauerländer-Verlag, ISBN 3-7941-8082-0
2011 Azureus & Pygmalion, Sauerländer-Verlag, ISBN 3-7941-8094-3
Zahlreiche Erzählungen von Marcus Hammerschmitt sind in Zeitschriften, Zeitungen und Sammelbänden erschienen. Es hat mehrere Radio- und Fernsehauftritte gegeben. Im Internet ist er seit 1995 mit einer Website vertreten, heute hat er mehrere Web-Auftritte mit je verschiedenem Anliegen. Seit etwa 2000 hat sich eine ausgedehnte journalistische Tätigkeit für On- und Offlinemedien ergeben. Seit 2004 ist ein zweites Medium des Ausdrucks hinzugekommen: die Fotografie.