Marcus Hammerschmitt – Polyplay

Polyplay von Marcus HammerschmittArgument Verlag, Social Fantasies 5006
ISBN 3-88619-974-6
Originalausgabe
Titelillustration von Rainer Schorm
Hamburg Oktober 2002, 12,- Euro, 188 Seiten

Der neue SF-Roman von Marcus Hammerschmitt beginnt diesmal nicht in einem weit entfernten Sternensystem, oder in einem Spanien, daß von Neo-Mayas erobert wurde. Im Gegenteil – er spielt im Berlin des Jahres 2000. Und Rüdiger Krämer, die Hauptfigur des Romans, soll eigentlich nichts anderes tun, als nur den Mord an einem 16-jährigen Schüler aufzuklären. Oberleutnant Rüdiger Krämer arbeitet allerdings für die Volkspolizei, und lebt in einem etwas anderen Deutschland des Jahres 2000, als wir es kannten: in dieser vermeintlichen Alternativweltgeschichte ist 1990 nach einer großen Weltwirtschaftskrise die Bundesrepublik der DDR beigetreten, da man dort durch die überraschende Entdeckung des Müller-Lohmann-Prozesses eine beneidenswerte und unerwartete wirtschaftliche Stabilität erreicht hatte.

Doch Rüdiger Krämer muß bald feststellen, daß der Mord an Michael Abusch vielleicht doch kein Routinefall ist. Plötzlich scheint sich auch die STASI für die Ermittlungen zu interessieren und Krämer stößt bei seinen Ermittlungen immer wieder auf das eigentlich längst veraltete Konsolenspiel »Polyplay«, daß noch zu Zeiten der alten DDR entwickelt wurde…

»Polyplay« ist sicherlich der bislang am flüssigsten zu lesende Roman von Marcus Hammerschmitt bisher, leider aber auch der in mancher Hinsicht enttäuschendste, denn es drängt sich der Verdacht auf, daß vom Autor mit Absicht eine altbekannte Handlungsidee verwendet wurde, nur um die Möglichkeit zu haben, ein alternatives Wiedervereinigungsszenario als Kulisse verwenden zu können. Und darunter leidet die Glaubwürdigkeit des Romans leider. Denn der Roman bleibt einerseits ein unbefriedigender Krimi, da er uns schlußendlich keine zufriedenstellende Auflösung bieten will, sondern uns statt dessen durch einen Kunstkniff darum betrügt. Das wäre nicht schlimm, wenn er nicht andererseits auch als Science Fiction-Roman keine befriedigende Antwort geben würde, sondern sich nur in wagen Andeutungen ergeht.

Das wird natürlich noch dadurch verstärkt, daß Marcus Hammerschmitt in fast allen seinen Romanen seine Figuren meist nur reagieren, aber selten agieren läßt. Es ist den Charakteren meist nicht möglich Initiative zu ergreifen und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, und so werden sie zu einem Spielball der Ereignisse. So ergeht es auch hier wiederum Rüdiger Krämer, der sich zwar bemüht etwas zu bewegen, aber schon bald wieder durch äußere Einflüsse ausgebremst wird.

Was mich als Leser außerdem verwunderte, war die Tatsache, daß die Handlung des Romans in Ost-Berlin angesiedelt ist, und damit viel von der Stärke der Ausgangsidee ins Leere verpufft. Denn die interessanten Auswirkungen einer solch umgekehrten Wiedervereinigung (ein Begriff, der übrigens im ganzen Roman nicht verwendet wird) ließen sich wohl wesentlich drastischer und deutlicher an einem Handlungsort im ehemaligen Westdeutschland aufzeigen, der eben nun plötzlich unter Ost-Einfluß geraten ist. Statt dessen bietet uns Marcus Hammerschmitt eine etwas überarbeitete und liberalere DDR und liefert Spitzen gegen bekannte Westdeutsche Politiker ab.

Unter der interessanten Alternativweltfassade brodelt es, und der Roman ist sicher eine spannende Lektüre für alle, die mit dem Ideenpool der Science Fiction nicht vertraut sind. Für alle diejenigen aber, die schon mehr als einen Roman von Philip K. Dick gelesen haben, schon einmal »Welt am Draht« oder »The Thirteenth Floor« gesehen haben, wird das Ende des Buchs aber fast zwangsläufig eine Enttäuschung sein.