Ian R. MacLeod – Aether

Aether

Originaltitel: »The Light Ages«
Fantasy Roman
Klett-Cotta Verlag, Hardcover
Übeersetzung von Barbara Slawig
ISBN3-608-93772-2
510 Seiten, 24,90 €

Der englische Autor Ian MacLeod ist für seine Erzählungen zweimal mit dem »World Fantasy Award« ausgezeichnet worden. Mit den üblichen Klischees dieses Genres hat er jedoch nichts zu tun, und eigentlich entzieht er sich geschickt jeder Kategorisierung, Schablone oder Schublade. Während andere Fantasyautoren immer wieder ihre überraschende Phantasielosigkeit unter Beweis stellen, erfindet MacLeod in seinem neuen Roman »Aether« eine ebenso unheimliche wie vertraut scheinende Alternativwelt, deren Details sich dem Leser erst allmählich offenbaren.

»Aether« ist die Geschichte des jungen Engländers Robert Borrows, der in ärmlichen Verhältnissen aufwächst und nach dem rätselhaften Tod seiner Mutter nach London aufbricht, um dort sein Glück zu suchen. Es ist eine Geschichte, wie aus einem alten viktorianischen Roman. Nur ist dieses England ganz anders, als wir es aus solchen Büchern kennen: Gleichzeitig mit der Erfindung der Dampfmaschine wurde das »Aether« entdeckt – das fünfte Element der griechischen Philosophie. Durch diesen Stoff wird Materie beliebig formbar, Aetherfabriken entstehen und das industrielle Zeitalter wird durch einen magischen Stoff beherrscht. Die gesellschaftlichen Folgen sind indessen fatal. Über dreihundert Jahre stagniert die soziale und technologische Entwicklung. Die sogenannten Gilden horten ihre politische Macht und unterdrücken jede Art von Veränderung. Borrows, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, schließt sich sozialistischen Revolutionären an, verliebt sich jedoch in ein Mädchen der elitären Upper Class. Als die Revolution ausbricht, muß er sich entscheiden …

Das Faszinierende an diesem Parallelweltroman ist sicherlich der ungeheure Reichtum an Details, die diese merkwürdige Welt glaubhaft und geradezu fühlbar werden lassen. Es gibt zahlreiche interessante Figuren, die einem Roman von Dickens entsprungen sein könnten, und es gibt einige eindrucksvolle Szenen, die eher an Kafka als an Fantasy erinnern. Andererseits ist die zentrale Liebesgeschichte des Romans eher englisch unterkühlt als leidenschaftlich, und der Held glänzt oft eher durch Unentschlossenheit als durch Tatendrang. Die Spannung läßt vor allem im Mittelteil stark nach. Dem Autor war vielleicht der phantastische Hintergrund wichtiger als die Handlung. Dennoch bleibt am Ende ein positiver Eindruck – es gibt einfach viel zu wenige Autoren im Genre der Fantasy, die Mut zur Eigenständigkeit und Originalität haben.

Fazit: Ein origineller Parallelweltroman für Freunde anspruchsvoller Phantastik; vergleichbar mit den Romanen von John Crowley (»Aegypten«, »Little Big«).