Marianne de Pierres – Nylon Angel

Nylon Angel

Bastei-Lübbe Taschenbuch
Originaltitel: »Nylon Angel«
Übersetzung aus dem Englischen von Jan F. Wielpütz
April 2005, ISBN 3-404-23282-8, 333 Seiten

Seit einigen Jahren haben britische SF-Autoren ihre Vormachtstellung innerhalb der Science Fiction ausbauen und verfestigen können. Denn waren Autoren von der Insel schon immer einen näheren Blick wert, so hat die britische SF-Szene in den letzten Jahren einige wirklich gute Talente hervorgebracht und stellt momentan die Quelle lesenswerter Science Fiction dar.

Dank dieser Entwicklung wurden und werden Autoren verlegt, deren Werke ansonsten eventuell sogar unveröffentlicht geblieben wären. So vielleicht auch Marianne de Pierres, eine Mutter von drei Söhnen, die erst im Alter von zwanzig Jahren dank »Rendezvous mit Rama« von Arthur C. Clark ihre Liebe zur Science Fiction entdeckte. Mittlerweile sind neben »Nylon Angel« zwei weitere Romane um ihre Titelheldin Parrish Plessis in Großbritannien erschienen, wobei ihr zweiter Roman, »Code Noir« gerade erst im Juli 2005 neu von Bastei-Lübbe veröffentlicht wurde. Und wohl auch der dritte Roman, »Crash Deluxe«, der gerade erst in Großbritannien verlegt wurde, dürfte bald übersetzt werden. Die Autorin verfügt über eine eigene Homepage (http://www.mariannedepierres.com), auf der man sich nähere Infos über ihr schriftstellerisches Gesamtwerk informieren kann.

Marianne de Pierres versetzt ihre Leser in eine Welt, in der die Menschen in großen Stadtkomplexen wie Vivacity leben. Das gesamte Romansetting erinnert deshalb ein wenig an die Cyberpunk-Romane längst vergangener Tage. Die technische Entwicklung ist bis auf Nanoebene vorangeschritten,  Menschen haben sich künstlich aufrüsten lassen, das Verbrechen und die Medien sind allgegenwärtig und mächtig, ein Leben außerhalb dieser Megacities scheint kaum noch möglich zu sein und die einfach Bevölkerung vegetiert mehr oder weniger nur noch vor sich hin.

In dieser Welt versucht sich Parrish Plessis mit Gelegenheitsjobs als Beschützerin und Privatschnüfflerin durchzuschlagen. Das gesamte Romanszenario ist aus bereits bekannten Versatzstücken zusammengesetzt und es fehlt an verbindenden Erklärungen. Vieles bleibt im luftleeren Raum stehen, wird als gegeben vorausgesetzt und nicht weiter erläutert. Die Autorin setzt mehr auf eine rasant fortschreitende Handlung als auf einen stimmigen Handlungshintergrund. Deshalb sollte man diesen bei der Lektüre auch als gegeben hinnehmen, will man nicht andauernd über offene Fragen stolpern.

Die Heldin dieses und der folgenden beiden Romane von Marianne de Pierres ist Parrish Plessis, die von Jamon Mondo, dem Kopf eines Verbrechersyndikats, für dessen Interessen sie zur Verfügung stehen muß. Von ihrer Eigenständigkeit ist ihr nicht viel geblieben und die Schergen Jamons sorgen dafür, daß sie weiterhin für ihn arbeitet. Der freiheitsliebenden Parrish sind diese Dienste zu wider und ihr ist bewußt, daß nur der Tod von Jamon sie aus diesem Abhängigkeitsverhältnis befreien kann. Als ihr jemand anbietet Jamon aus dem Weg zu räumen, wenn sie im Gegenzug einen Auftrag erledigt, greift sie ohne zu überlegen zu und manövriert sich dadurch in die größten Schwierigkeiten. Ihr Auftrag führt sie in eine der besten Wohngegenden. Hier soll sie unbemerkt in ein Haus eindringen und Dateien von einem Computer runterziehen, doch bei der Ausführung ihres Auftrages stellt sich heraus, daß sie in das Haus einer überaus bekannten Journalistin, die vor kurzem erst ermordet wurde, eingedrungen ist, und man ihr zudem nicht die Wahrheit  über ihren Auftrag erzählt hat. Einmal mehr hat man sie benutzt und sie in noch größere Kalamitäten gebracht. Was bleibt ihr also anders übrig, als zu fliehen und die Hintergründe aufzuklären?

Der Roman hinterläßt einen zwiespältigen Eindruck. Die Handlungskulisse kennt man zur genüge aus anderen Romanen, und sie ist hier auch teilweise nicht scharf genug ausgearbeitet. Sie dient ein wenig zu sehr als Mittel zum Zweck, sprich um die Handlung zu tragen, und hätte detaillierter sein können. Und Parrish Plessis hat zu Beginn so gar nichts von einer Roman tragenden Hauptfigur. Erst im Verlaufe der Handlung entwickelt sie mehr Eigenständigkeit und gewinnt an Konturen. In den ersten Kapiteln ist sie viel zu sehr fremdbestimmt, d.h. sie kann kaum selbstständig agieren und wirkt wie eine Kleinkriminelle.

Unglaubwürdig ist zudem, daß sie all ihre Bekannten und Freunde im Verlaufe des Romans vor dem Kopf stößt, sie ausnutzt und anlügt, aber von diesen dennoch in ihren Handlungen unterstützt wird. Das paßt einfach nicht zusammen und ist auf Dauer nicht nachvollziehbar, wobei die Autorin sich erst gar nicht die Mühe macht Parrishs Verhalten näher zu erläutern.
Gleichwohl verfügt der Roman über einige sehr gut in Szene gesetzte Passagen und logische Handlungen, die aber nicht für einen positiven Gesamteindruck ausreichen. So bleibt zu wünschen übrig, daß Marianne de Pierres sich in den nächsten Romanen noch wird steigern können. Über das Talent dazu verfügt sie.

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