Wilhelm Heyne Verlag, TB 06/6426
Titel der Originalausgabe: „The Depths of Time“
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Walter Brumm
Titelillustration von David Mattingly
Sepetmber 2002, 9,95 Euro, 636 Seiten
Über viele Jahrzehnte hinweg stellte das SF-Programm des Wilhelm-Heyne-Verlags den Standard im Bereich der deutschsprachigen Science Fiction dar. In allen Buchregalen der SF-Leser in Deutschland finden sich die Taschenbücher mit dem schwarzweißen (und später bunten) Rücken. Neben klassischen Werken erschienen auch viele heute wieder vergessene Autoren mit ihren eindrucksvollen Erstromanen.
In den letzten Jahren (vielleicht auch deshalb, weil der Verlag seinen Besitzer wechselte und Wolfgang Jeschke schließlich in Rente ging) hat sich allerdings das Angebot drastisch verschlechtert. Neben den bekannten Serien wie STAR TREK (in allen Variationen), Shadowrun oder Battletech finden wir mehr und mehr umfangreiche Trilogien, aber auch eine Handvoll von Autoren, die immer wieder ausgelutscht werden, weil sie verkaufbar scheinen. Gregory Benford mit seinen inzwischen unsäglichen, schlecht recherchierten und für die Bestsellerliste geschriebenen Romanen, gehört dazu ebenso dazu wie Ben Bova, der aus zwei guten Romanen („Mars“ und „Rückkehr zum Mars“) eine langweilige Planetensaga inszeniert. Bastei-Lübbe hat hier in Bezug auf den unternehmerischen Mut die Nase vorn und verfügt mit Linda Nagato, Cathrin Asharo und China Mieville über einige starke junge Autoren, die inhaltlich und erzählerisch mutig Neuland betreten.
Vielleicht ist es daher nur passend, daß die Herausgeber von „Die Tiefen der Zeit“ auf der Innenseite des Covers vergessen haben, die bisher im Verlag erschienen Romane von Roger MacBride Allen aufzulisten (nur seine STAR WARS-Titel aus der Allgemeinen Reihe werden erwähnt). In „Waisen der Schöpfung“, dem letzten Roman von Roger MacBride Allen, standen sie noch alle wohlgeordnet an der richtigen Stelle.
Roger MacBride Allen ist ein Stammautor im Heyne-Verlag und legt mit „Die Tiefen der Zeit“ den ersten Band seiner umfangreichen Trilogie „The Chronic of Solace“ vor. Nach 635 Seiten des ersten Romans muß sich der Leser mit einem sehr offenen Ende auseinandersetzen und es beschleicht einen das Gefühl, daß man die Geschichte auch sehr viel kürzer und prägnanter hätte erzählen können. Aber einen Blick auf die bisherigen Werke Allens unterstreicht nur seinen Hang zu breitangelegten Epen und verkrachten Helden.
Roger MacBrideAllen wurde am 26.September 1957 als jüngstes von drei Kindern in Bridgeport, Connecticut, geboren. Er studierte an der Boston Universität und schloß 1979 sein Journalismus-Studium ab. Während er seinen ersten Roman schrieb, versuchte er sich an verschiedenen Aushilfsjobs wie Kellner, Schreibmaschinenverkäufer oder Buchhändler. Durch Zufall erhielt er einen Job im Publizistikbereich des „Governing Boards of Universities and Colleges“. Seinen ersten Roman „The Torch of Honour“ verkaufte er zusammen mit einem Treatment für die Fortsetzung „Rogue Powers“ an Baen Books. In den folgenden Jahren schrieb er durchschnittlich einen Roman pro Jahr. Er erhielt die Einladung drei STAR WARS-Romane („Ambush at Corellia“, „Assault at Selonia“ und „Showdown at Centerpoint“) zu schreiben und veröffentlichte auch drei Romane in der Reihe „Isaac Asimov’s Roboter Universum“ („Caliban“, „Inferno“ und „Utopia“). Neben diesen Büchern zählt die spannende, groß angelegten Space Opera „Die Heimgesuchte Erde“ („Der Ring von Charon“ und „Die zerschmetterte Sphäre“, sowie der ruhige Wissenschaftsroman „Die Waisen der Schöpfung“ zu seinen besten Büchern. Nebenbei hat er auch für die neue Science Fiction-Serie „Out of Times“ aus dem Avon Verlag geschrieben.
1994 heiratete er Eleanore Fox, die zuerst als Literaturagentin und später im Auswärtigen Amt der Vereinigten Staaten arbeitete. Ihre Aufträge führten sie erst nach London (da reiste er noch zwischen Washington und London hin und her) und schließlich nach Brasilien. Roger MacBride Allen schrieb in Brasilia damals auch seine Bücher. Nachdem sie einige Zeit in die Staaten zurückkehrten, leben die Allens nun seit September 2002 in Leipzig. 1998 wurde ihre gemeinsamer Sohn Matthew Thomas Allen geboren.
In einer fernen Zukunft hängen die Reisen durch die Zeit und den Raum eng zusammen. Durch verschiedene Zeittunnel oder -passagen, bewacht von den Schiffen der chronologischen Patrouille, reisen die Transporter zu den fernen Welten, die in den verschiedenen Stadien des Terraformings stehen, um dort ihre lebensnotwendigen Waren abzuliefern. Die Aufgabe der verschiedenen Patrouillenraumschiffe ist es zu verhindern, daß die sich im Tunnel befindlichen Schiffe einen Einblick in die Zukunft nehmen, denn immerhin liegen fast achtzig Jahre zwischen den beiden Ende des Weges.
Anton Koffield ist der Kommandant der UPHOLDER, eines der zwei Schiffe, die das Zeitwurmloch bewachen. Überraschend wird das Schwesterschiff von unbekannten Eindringlichen zerstört und auch Koffields Schiff wird schwer beschädigt. Die fremden Schiffe verfügen nicht nur über die Codes zu den Tunneln, sondern sind auch noch überlichtschnell. An Bord scheinen Roboter zu sein. Sie kämpfen sich ihren Weg aus der Vergangenheit (downtime) in die Zukunft (uptime) und verschwinden in den Weiten des Alls. Als kurze Zeit später eine Flotte von Transportern mit Gütern für einen Planeten, dessen Terraforming fehlgeschlagen ist, den Tunnel benutzen will, tauchen die unbekannten Angreifer wieder auf, um sich den umgekehrten Weg zurück in die Vergangenheit zu schlagen. Koffield kann das nur verhindern, in dem er die Passage schließt, die Transporterflotte zerstört und die Angreifer auch vernichtet. Der Planet erhält zwar nicht die lebensnotwendigen Güter, aber die Integrität des Systems scheint bewahrt. Aber die Besatzung und die menschliche Zivilisation halten ihn für einen Verräter und millionenfachen Mörder, da die Angreifer keine Spuren hinterlassen haben. Seine Besatzung und er sind in der Zukunft gestrandet, da es für sie keinen Weg zurück gibt.
Koffield kehrt auf die Erde zurück. Ein Jahrhundert später lernt er den egoistischen Terraformer Oskar DeSilvo kennen, der ihm einen Job anbietet. Nach dessen Tod findet Koffield heraus, daß DeSilvo nicht nur die Werke eines unbekannten Wissenschaftlers gestohlen hat, sondern daß alle terraformierten Welten dem Untergang geweiht sind. Koffield macht sich auf die Reise zu einer dieser Welten, dem Planeten Solace, um die Bevölkerung vor dem ökologischen Kollaps zu warnen. Doch sein Schiff wird sabotiert und kommt in einer verkehrten Zeit an und die Beweise, die er in einem Koffer bei sich trägt, werden vernichtet. Koffield muß jetzt nicht nur die Einheimischen von seinen Ideen überzeugen, die in ihm noch einen Mörder sehen, sondern auch eine Lösung für das Rätsel um die immer noch unbekannten Raumschiffe und den Forscher DeSilvo finden.
Viele Bücher MacBride Allens zeichnen sich durch weltbewegende Ideen, großartige Szenarien und scheinbar unlösbare Aufgaben aus. So ist es auch hier, denn die Idee, die Nutzung eines Wurmlochs mit der Notwendigkeit einer Zeitpatrouille zu kombinieren, ist spannend und faszinierend. In der Exposition faßt er diese Voraussetzungen konzentriert und gekonnt zusammen. Leider läßt diese Konzentration im Laufe der Handlung deutlich nach und aus einem schlanken, herausragenden Raum wird ein breites, oft zu langes Epos, um einen tragischen Helden und ein jahrhundertealtes Komplott. Schon vor dem Auftauchen der fremden Raumschiffe ist Koffield nur eine Schachfigur, ein Marionette DeSilvos, dem geheimnisvollen Terraformer im Hintergrund. Viel über die Verschwörung und deren Ziel erfahren wir allerdings nicht im ersten Buch. Alle Spuren verwischen im letzten Kapitel und aus dem „Bösewicht“ DeSilvo kann immer noch der Retter der Menschheit werden. Koffield ist zumindest ein pflichtbesessener, korrekter Kommandant, der sich um seine Aufgaben genauso kümmert, wie um seine ihm anvertrauten Besatzungsmitglieder. Nach dem Angriff und der galaxisweiten Ächtung bricht er innerlich zusammen, bis ihm DeSilvo eine neue Aufgabe gibt. Durch seine eigenen Recherchen findet er eine neue Aufgabe und voller Optimismus tritt er seinen persönlichen Gang nach Canossa, sprich zu den Koloniewelten an. Um einen einzigen Schritt im Puzzle weiter zu kommen, benötigt er die letzten hundert Seiten und so bleibt das Ende fast schon provokativ offen – und das obwohl der Roman mehr als sechshundert Seiten umfaßt.
Beschwörend sind die Szenen auf der fremden, terraformierten Welt. Nach und nach erkennen die Siedler, daß sich das Ende des Traums nähert. Es ist keine Rettung mehr in Sicht, die Natur der Planeten wehrt sich gegen die Vergewaltigung durch den Menschen und die menschlichen Eindringlinge.
Leider gehen die Szenen in dem sprachgewaltigen, sehr komplizierten Plot unter. Natürlich ist Allen inzwischen ein routinierter Autor geworden, der weiß, wie er seine Leser an sich fesselt und diese Fähigkeit nutzt er mehr als einmal aus. Während der Lektüre ähnelt das Buch einem Gespräch mit einem guten Freund. Nach einigen Minuten hat man den Inhalt vergessen, es bleibt eine gute Erinnerung, mehr aber nicht.
Und das ist für einen solchen Wälzer einfach zu wenig. Natürlich liest sich das Buch sehr angenehm und flüssig, aber der Plot ist viel zu kompliziert angelegt und einzelne Szenen reizt Allen in ihrer Länge und Dramatik zu sehr aus. Nach Abschluß des Buches fühlt man sich leer und enttäuscht. Zu sehr arbeitet der Autor auf das Trilogieformat hin (es wird allerdings vorsichtshalber weder vom Verlag, noch irgendwo im Buch erwähnt) und es stellt sich die Frage, ob das wirklich gerechtfertigt ist. Man sollte sich an die frühen Werke Poul Andersons oder auch van Vogt denken, die umfangreiche Storylines konzentriert, aber klar verständlich ihren Lesern präsentierten.
Sein reifstes Werk stellt weiterhin der bei Heyne erschienene Roman „Die Waisen der Schöpfung“ dar und wer ein gutes Buch lesen möchte, dem sei dieser Roman ans Herz gelegt. Wer sich für großangelegte Space Opera-Abenteuer interessiert, wird stellenweise an diesem Werk seinen Gefallen finden, aber im tiefsten Inneren ist dieses Buch nicht mit dem Herzen geschrieben, sondern mit dem Blick auf die Verkaufszahlen. Damit reiht sich der Roman in eine ganze Reihe von für die Bestsellerlisten geschriebenen Büchern im Heyne-Programm ein, die weder Fisch (gute Literatur) noch Fleisch (für die interessierten Fans und nicht die Gelegenheitsbahnhofleser) sind.