Originaltitel: »The Telling« (2000)
Aus dem Amerikanischen von Biggy Winter
Titelillustration von Steve Stone
München, Heyne 06/6382, Juli 2001
ISBN 3-453-18861-6, 237 Seiten
Le Guins Autorenkollegen schätzen besonders ihre Romane, für die sie drei NEBULA-Awards bekam – so viele wie sonst nur Joe Haldeman –, und die Leser des SF-Magazins LOCUS liegen all ihren Texten, auch den kürzeren, zu Füßen; nur Harlan Ellison erhielt mit 13 LOCUS-Awards einen mehr als Le Guin.
Ihr Roman »Die Erzähler«, der lose zu Le Guins Hainish-Zyklus gehört, wurde 2001 ebenfalls mit dem LOCUS-Award als bester SF-Roman des Jahres ausgezeichnet. Grund genug, sich auch einmal mit diesem Buch zu beschäftigen.
Die junge terranische Linguistin Sutty befindet sich auf dem Planeten Aka und möchte gerne dessen Vergangenheit erforschen und verstehen. Dies gestaltet sich schwierig, weil Aka im wahrsten Sinne des Wortes mit der Vergangenheit abgerechnet hat: Alle Relikte aus dieser Zeit sind so gut wie beseitigt, und wer sich zu sehr mit den alten Zeiten beschäftigt, lebt gefährlich.
Der Grund dafür: Die akanische Regierung hält sich für extrem der Zukunft zugewandt. Eine Beschäftigung mit der Vergangenheit hält sie in diesem Zusammenhang für überflüssig und schädlich. Dementsprechend sind auch Bücher als Artefakte aus vergangenen Tagen praktisch verboten und kaum zu kriegen.
Je länger sich Sutty auf Aka aufhält, desto mehr erkennt sie, daß die normale Bevölkerung dem Druck der Regierung nur scheinbar nachkommt. Denn wenn die Vergangenheit nicht auf Papier festgehalten werden darf, dann benutzt man eben die Erinnerung und das gesprochene Wort für diesen Zweck. Die geheime Kultur der Akaner ist das gesprochene Wort, das Erzählen, wie sie selber es nennen.
Schließlich begleitet Sutty einige der Akaner ins Gebirge, wo sie entdeckt, daß die Vergangenheit dort auch in manifester Form aufbewahrt wird.
Schon diese kurze Inhaltsangabe läßt erahnen, von welchem klassischen SF-Roman sich Le Guin zu »Die Erzähler« vermutlich hat inspirieren lassen, nämlich von Ray Bradburys »Fahrenheit 451«, in dem Bücher verbrannt werden, weil sie dem Volk Ideen vermitteln könnten, die gegen die Regierung gerichtet sind.
Bradburys Buch war sicherlich gut gemeint, krankte jedoch an übermäßiger Plakativität, und auch Le Guins Roman weist Schwächen auf.
Schon die Grundlage des akanischen Regimes erscheint nicht plausibel: Es will die Vergangenheit gleichsam auslöschen, um sich voll und ganz auf die Zukunft zu konzentrieren – wie soll das gehen? Wie soll man Fehler, die in der Vergangenheit begangen wurden, in der Zukunft vermeiden, wenn man sich nicht mit der alten Zeit beschäftigen darf? Kurz gesagt: Wie soll man für die Zukunft lernen, ohne sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen?
Die Hauptschwäche des Buches liegt dabei an anderer Stelle: Es ist schlicht und ergreifend langweilig. Daß es keine spannende Action enthält, wäre noch verzeihlich, wenn es wenigstens überzeugend oder interessant geschrieben wäre, aber dies ist leider nicht der Fall.
Auch die oben genannte manifeste Form der Vergangenheit, die Sutty zum Ende des Romans hin entdeckt und die der innere Klappentext als »unglaubliche Entdeckung« bezeichnet, bringt keine Spannung. Zum einen war absehbar, was Sutty finden würde, und zum anderen passiert es quasi nebenbei und völlig unspektakulär.
In »Die Erzähler« wird so wenig Interessantes erzählt, daß man auch mal eine halbe Stunde lang ein Nickerchen machen könnte, wenn man das Buch vorgelesen bekäme, ohne beim Aufwachen allzu viel verpaßt zu haben.
Ähnlich wie »Fahrenheit 451« soll der Roman wohl eine Warnung davor sein, die Erinnerung an die Vergangenheit und die Beschäftigung damit nicht aufzugeben. In der heutigen Zeit, wo Revisionisten aus allen Lagern ihre eigene Weltsicht als die einzig wahre proklamieren, mag dies zwar ein wichtiger und berechtigter Hinweis sein, doch literarisch besser wird »Die Erzähler« dadurch leider trotzdem nicht.
Auf eine griffige Formel gebracht, könnte man sagen, daß das Buch zwar nicht dumm, aber eben enttäuschend ereignislos ist.
Schade.