Valerio Evangelisti – Der Schatten des Inquisitors

Der Schatten des Inquisitors

Heyne-Verlag, TB 06/9124
Titel der Originalausgabe: »Nicolas Eymerich, Inquisitore« (1969)
aus dem Italienischen von Barbara Kleiner
Titelbild von Ciruelo
München, März 2001, 14.90 DM, 288 Seiten

Valerio Evangelistis Roman »Der Schatten des Inquisitors« wartet mit einer seltsamen Geschichte auf, die zu Beginn komplex wirkt. Denn der italienische Starautor verknüpft drei Handlungsebenen aus jeweils unterschiedlichen Zeitepochen zu einem Roman, der zwar unter dem Label »Fantasy« bei Heyne erschienen ist, doch nicht so richtig in diese Schublade hineinpaßt.

Im Herbst 1352 wird der Dominikaner Nikolas Eymerich von seinem Vorgänger zum neuen Großinquisitor des Königreichs Aragón bestimmt. Und Nikolas Eymerich, der sich als Werkzeug Gottes im Kampf gegen die Ungläubigen und Ketzer sieht, nimmt demütig die Aufgabe an. Doch er trotzt auch energisch allen politischen Problemen, die seiner Ernennung entgegenstehen. Und wie es scheint, ist ein Inquisitor in diesen Tagen bitter nötig, denn seltsame Dinge geschehen im Umfeld des Klosters. Ein zweiköpfiger toter Säugling wird aufgefunden und löst sich nur wenig später vor den Augen Eymerichs in Nichts auf. Und die Frauen von Saragossa scheinen einem heidnischen Kult anzuhängen, der mit antiken Schriften im Zusammenhang steht! Nikolas Eymerich beginnt als Inquisitor zu ermitteln…

Der Leser stellt sich aber die Frage, was die Geschichte um den seltsamen Physiker Markus Frullifer damit zu tun hat, der in einer nur wenig entfernten Zukunft verzweifelt versucht seine Theorie über die Existenz von Psytronen zu beweisen. Frullifer glaubt, daß die Macht der Psyche größer ist als bisher angenommen und eine Revolution der bisherigen Physik bevorsteht. Doch niemand scheint ihm glauben zu wollen. Und doch ist die Frullifer die zentrale Figur, die schließlich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verknüpft und den Inquisitor Nikolas Eymerich auf den Plan ruft!

Als 1994 in Italien der erste Roman um den Inquisitor Nikolas Eymerich erschien, schlug diese seltsame Mischung aus Historischem Roman, Fantasy und Science Fiction wie eine Bombe ein. Die historische Vorlage Nikolas Eymerich (1320-99) war tatsächlich Inquisitor und Valerio Evangelisti gelingt das, was aus heutiger Sicht fast unmöglich erscheint: obwohl er den Inquisitor zu seiner zentralen Figur, gar zu seinem Erzähler macht, bewertet er die Figur aus heutiger Sicht nicht. Dies bleibt dem Leser überlassen. Und als solcher stellt man bald fest, daß Eymerich zwar ein kantiger Held ist, aber auch eine höchst faszinierende Person, deren Abenteuer man mit wachsender Spannung verfolgt. Denn Nikolas Eymerich ist sich in seinem Glauben das Richtige zu tun so sicher, daß seine Taten mit aller Konsequenz und ohne Selbstzweifel erfolgen.

Den »Inquisitor-Zyklus« könnte man vielleicht am treffendsten als Historische Phantastik bezeichnen – so man denn unbedingt eine Beschreibung dafür finden müßte. Auf alle Fälle jedoch ist »Der Schatten des Inquisitors« ein gelungener Zyklusauftakt, der Appetit auf mehr macht.

In Italien sind bisher sieben Romane über die mystischen Erlebnisse des Inquisitors erschienen. In Deutschland ist mittlerweile der chronologisch dritte Roman als Band 2 des Inquisitor-Zyklus im Handel (»Das Blut des Inquisitors«), und weitere deutsche Ausgaben sind angekündigt. Dabei erzählt jedes Buch ein angeschlossenes Abenteuer.