Vernor Vinge – Die Tiefen der Zeit

Die Tiefen der Zeit
Originaltitel: »The Collected Stories of Vernor Vinge«
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Joachim Körber, u.a.
SF-Erzählungen
Heyne Verlag 2006
ISBN 3-453-52132-3, Großformat, 795 Seiten, 15,- €

»Die Tiefen der Zeit« ist ein Sammelband sämtlicher SF-Stories von Vernor Vinge. Jede der 18 Erzählungen mit je ca. 20-80 Seiten Umfang enthält eine Einleitung des Autors. Zwei Geschichten erscheinen exklusiv in der deutschen Ausgabe und sind in der US-Ausgabe nicht enthalten, fünf sind allerdings bereits in älteren Heyne-Anthologien veröffentlicht worden. Der älteste Text der Sammlung stammt noch aus den 1960ern, der jüngste aus dem Jahr 2003. Von besonderem Interesse für Fans des Autors sind die beiden Erzählungen, die thematisch zu den erfolgreichen Romanzyklen um die »Zonen des Denkens« und den »Friedenskrieg« gehören. Ansonsten reichen die Themen von postapokalyptischen Szenarien über bizarre außerirdische Kulturen bis hin zu Vorläufern der Cyberpunkbewegung.

Vernor Vinge versuchte in seinen früheren Erzählungen oft, glaubhafte Zukunftsspekulationen zu liefern, so daß weniger die Pointen als die reinen Ideen im Mittelpunkt stehen. Einige dieser Spekulationen – meist jene über Computertechnologie – sind entweder von der Wirklichkeit eingeholt worden (wie z. B. die computergenerierte Verfilmung des »Herr der Ringe« in »Der Mitarbeiter«) oder wirken nach zwanzig Jahren Cyberpunk etwas antiquiert (wie »Wahre Namen«, über die Suche nach der Identität eines Hackers im Cyberspace). Eine besondere Vorliebe hat Vinge für Gesellschaftsmodelle, die sich nach einem Atomkrieg etablieren. Unter diesen Stories ist »Kampflose Eroberung« die beste: Hier werden die Nachkriegsgesellschaften mit einer ziemlich kompromißlosen außerirdischen Kultur konfrontiert. Amüsant sind vor allem die reinen SF-Abenteuergeschichten: »Der Lehrling des fahrenden Händlers« (gemeinsam mit Joan D. Vinge) beschreibt den Versuch, eine Gesellschaft zu bewahren, indem man ihre Entwicklung über Jahrtausende verhindert. »Mit der Sünde geboren« ist eine spannende Mischung aus Horror und Space Opera und eine gelungene Darstellung einer biologisch extremen außerirdischen Spezies. Mein persönlicher Favorit ist allerdings »Edelstein«, eine schlichte, aber wirkungsvolle Story, die vor dem Hintergrund einer US-Kleinstadt in den 1950ern spielt und ein wenig an Bradbury und King erinnert.

Insgesamt beweist Vinge mit seinem Sammelband, daß er intelligente und spannende Ideen-SF zu schreiben versteht. Stilistisch hat er sich allerdings nie weiterentwickelt – es gibt keine merklichen Unterschiede zwischen älteren und neueren Texten. Ein wenig schade, daß er nie weitere nostalgische Juwelen wie »Edelstein« geschrieben hat. Die Atomkriegsgeschichten sind, zumindest für meinen Geschmack, zu blauäugig, was die Folgen eines solchen Krieges angeht. Wenn z.B. in »Die Unregierten« ein unabhängiger Farmer im Mittleren Westen der USA nebenbei eine Atombombe zündet, um eine Invasionsarmee aus New Mexiko aufzuhalten, kann man dies kaum als erzählerischen Höhepunkt bezeichnen. Leider entspricht diese Art von militaristischem Klamauk wohl dem Geschmack heutiger SF-Leser, die Beschreibungen sinnloser Massaker unterhaltsam finden. Über Geschmack kann man bekanntlich nicht streiten …

Fazit: Traditionelle amerikanische SF-Stories im Stil von Larry Niven und Poul Anderson. Viel Lesestoff mit einigen Highlights und ein paar Tiefpunkten.