Am Samstagabend, dem 22. Mai 1999, wurden auf den 11. SF-Tagen NRW von Udo Klotz (Treuhänder des KLP) der Kurd-Laßwitz-Preis 1999 verliehen.
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Von den Preisträgern waren in diesem Jahr Andreas Eschbach, Thomas Thiemeyer und Rudi Schweikert anwesend und nahmen ihre Auszeichnung persönlich entgegen. Marcus Hammerschmitt konnte leider nicht persönlich zur Verleihung erscheinen, hatte jedoch eine Dankesrede verfaßt, die von Florian Breitsameter verlesen wurde.
Bester Roman
Andreas Eschbach, »Jesus Video«
Beste Kurzgeschichte
Marcus Hammerschmitt, »Wüstenlack«
Bestes ausländisches Werk
Ian McDonald, »Narrenopfer«
Beste Übersetzung
Harry Rowohlt für Kurt Vonnegut: »Zeitbeben«
Beste Graphik
Thomas Thiemeyer für Kurd Laßwitz: »Auf zwei Planeten«
Bestes Hörspiel
Heiko Michael Hartmann, »MOI«
(Produktion: Südwestrundfunk, Regie: Oliver Sturm)
Sonderpreis 1998
Rudi Schweikert für die liebevolle und kompetente Neuedition von Kurd Laßwitz: »Auf zwei Planeten«
Eine Übersicht über alle Plazierungen in den verschiedenen Kategorien steht zum Download bereit: Auswertung KLP 1999 (PDF), Auswertung KLP 1999 (doc)
Die Laudationes
verfasst von Udo Klotz, Hermann Urbanek und Horst G. Tröster
Andreas Eschbach für »Jesus Video«
Andreas Eschbach nahm sich nach einer weitgespannten Space Opera und einer vielschichtigen Hard-SF in seinem dritten Roman eines der beliebtesten Themen der modernen SF an. Das Ergebnis ist eine packende, in sich völlig stimmige und logische Zeitreisegeschichte, die ihre oftmals beklemmende Spannung durch die Interaktion der handelnden Charaktere und nicht aus vordergründiger Action bezieht und darüber hinaus noch Einblick in die Welt der Archäologie und Altertumsforschung bietet.
Die Mehrheit der deutschsprachigen SF-Schaffenden stimmte deshalb dafür, Andreas Eschbach für seinen Roman »Jesus Video« den Kurd Laßwitz Preis für den besten Roman des Jahres 1998 zu verleihen.
Marcus Hammerschmitt, »Wüstenlack«
Marcus Hammerschmitt beschwört in »Wüstenlack« mit Liebe zum Detail das trostlose Bild einer Welt ohne Zukunft und ohne Hoffnung herauf, die ebenso überzeugend ist wie die sie bewohnenden Charaktere. Der Autor zieht bei dieser Geschichte voll origineller Ideen alle Register seines Könnens und schafft eine beklemmende Atmosphäre der Spannung, die den Leser von der ersten Seite an gefangennimmt und bis zum überraschenden Finale in ihrem Bann hält.
Die Mehrheit der deutschsprachigen SF-Schaffenden stimmte dafür, Marcus Hammerschmitt für diese Leistung den Kurd Laßwitz Preis für die beste Kurzgeschichte des Jahres 1998 zu verleihen.
DANKESREDE von Marcus Hammerschmitt:
Liebe SF-Fans, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich kann heute abend nicht hier sein, um den Kurd Laßwitz-Preis entgegenzunehmen. Das hat private Gründe, vor allem den, daß ich im Moment alleinerziehend bin, und nicht ohne weiteres verreisen kann. Schade, denn nach dem Saarcon 1996, auf dem mir der SFCD-Preis verliehen wurde, wäre das eine gute Gelegenheit gewesen, einige von euch wiederzusehen. Und es hat auch etwas seltsames an sich, einen Preis, der mir verliehen wird, nicht persönlich entgegennehmen zu können. Etwa so, als käme ich zu meiner eigenen Geburtstagsfeier nicht. Aber es geht nicht, damit muß ich mich abfinden.
Trotzdem hat es mich sehr gefreut, daß ihr diesmal mich als Preisträger ausgewählt habt. Wie ihr sicher wißt, ist die Lage für Autoren im Bereich der SF im Moment recht prekär. Die Leserschaft scheint wegzubrechen, die Bücher verkaufen sich schlechter, Phantastikreihen werden eingestellt oder im Umfang erheblich reduziert, Titel können nicht wie beabsichtigt veröffentlicht werden. Es sieht so aus, als ob der Markt insgesamt schrumpfe. Dazu ein allgemeine Unsicherheit darüber, ob das Buch nach einer sehr erfolgreichen fünfhundertjährigen Geschichte in Zukunft überhaupt noch das Medium sein wird, von dem wir uns Geschichten über die Zukunft erzählen lassen werden. Mir macht das Kummer. Ich mag Computer, aber ich mag auch Bücher, und es würde mir schwer fallen, ganz auf sie zu verzichten. Stellt euch einen Umzug ohne Bücherkisten vor! Nur Menschen mit Rückenproblemen und Kulturbanausen würden das begrüßen, oder etwa nicht? Nun ja, wahrscheinlich werden Bücher und Bücherkisten noch eine Weile zu unserem Alltag gehören.
Aber obwohl ich nicht nur Science Fiction schreibe, betrifft mich die Flaute in der SF ganz konkret. Mein erster längerer Roman, im letzten Herbst fertiggestellt, wird von den beiden Verlagen, die mich bisher unterstützt haben, nicht gebracht werden können. Andere einschlägige Verlage haben nicht einmal auf das Anschreiben reagiert, man könnte in diesem Zusammenhang schon von einem “ohrenbetäubenden Schweigen” sprechen. Wird dieses ohrenbetäubende Schweigen noch lauter werden? Wenn ja, was ist die Lösung des Problems? Ich kann niemanden zwingen, meine Arbeiten zu lesen, selbst wenn ich noch so viel Mühe auf ihre Herstellung verwendet habe. Ich kann sie nur so gut machen wie eben möglich und hoffen, daß sie akzeptiert werden. Aber ich will nicht jammern. Die Universität Tübingen hat mir für den kommenden Juni die Möglichkeit eröffnet, ein Kompaktseminar mit dem Thema »Die Prosa der Science Fiction« abzuhalten. Ich habe in diesem Jahr schon einen angesehenen Non-SF-Literaturpreis bekommen, für den Herbst steht eine Buchveröffentlichung im Non-SF-Bereich an, und heute bekomme ich den Kurd Laßwitz-Preis. Vor diesem Hintergrund zu jammern hieße, bei meiner Geburtstagsfeier die Geschenke nicht aufzumachen, weil das eine, das ich gerne gehabt hätte, nicht dabei ist. Ich freue mich sehr. Und für die Zukunft und die Literatur über die Zukunft hoffen wir einfach das Beste.
Ian McDonald für »Narrenopfer«
Ian McDonalds Roman „Narrenopfer“ besticht sowohl durch die ausgefeilte Darstellung der beiden unterschiedlichen Kulturen – auf der einen Seite die menschliche, auf der anderen die absolut fremdartige der Shian, aufgebaut auf dem Geruchssinn, mit ihren zeitlich genau festgelegten Paarungszeiten, ihren Sitten und Gebräuchen – als auch durch die einfühlsame Schilderung der handelnden Personen, vor allem des Protagonisten Andy Gillespie, der bei den Aliens eine zweite Heimat gefunden hat und schließlich zur Erkenntnis gelangt, daß die Shian den Menschen ähnlicher sind als er gedacht hat. Herausgekommen ist eine spannende und lebendige Geschichte, die den Leser berührt und ihm tiefe Einblicke vor allem in die irische Psyche gewährt.
Die Mehrheit der deutschsprachigen SF-Schaffenden stimmte dafür, Ian McDonald für diese Leistung den Kurd Laßwitz Preis für den besten ausländischen Roman des Jahres 1998 zu verleihen.
Harry Rowohlt für Kurt Vonnegut: »Zeitbeben«
Dies sind die beiden hehren Ansprüche, die einen Übersetzer herausfordern und manchmal zu einem fast unmöglichen Spagat zwingen. Und bei einem Autor wie Kurt Vonnegut, der bösartigen Zynismus ebenso liebt wie feine Ironie, ist auch ein exzellenter Umgang mit der deutschen Sprache nötig, um diese Vielfalt adäquat zu übersetzen.
Harry Rowohlt hat diese Herausforderung souverän gemeistert und alle Facetten des Romans „Zeitbeben“, die leisen und die lauten Töne des New Yorkers Vonnegut, seine Textfragmente und Gedankenspiele, seine Wortspiele und Gedichte zu einer den Leser fesselnde Einheit zusammengebunden, die ihn vergessen läßt, daß er eine Übersetzung liest. Und trotz der deutschen Sprache glaubt man, den amerikanischen Schalk und das spitzbübische Lächeln Vonneguts zwischen den Zeilen zu sehen. Näher kann man dem amerikanischen Original „Timequake“ nicht kommen.
Die Mehrheit der deutschsprachigen SF-Schaffenden stimmte dafür, Harry Rowohlt für die Übersetzung von Kurt Vonneguts Roman „Zeitbeben“ den Kurd Laßwitz Preis 1998 zu verleihen.
Thomas Thiemeyer ist dies mit Bravour gelungen. Wie der Autor Kurd Laßwitz in seinem Roman „Auf zwei Planeten“ stellt der Graphiker Thiemeyer die beiden Welten Erde und Mars direkt gegenüber: Auf der linken Bildhälfte die Eingangsszene des Romans, der Ballonflug zum Nordpol, in Blautönen, wo die kalte, schroffe Natur für die aggressive, emotionsgeladene Menschheit steht; auf der rechten Bildhälfte eine Marslandschaft in Rottönen, mit ästhetisch ansprechenden, den Vorstellungen von 1897 entsprechenden Wohngebilden als Sinnbild für die vernunftbetonte Art der Marsianer. Links der damals zeitgemäße Heißluftballon, rechts Raumschiffe wie aus einem aktuellen Kinofilm, dazwischen als Bindeglied die marsianische Transportstation auf dem irdischen Nordpol.
Im Vordergrund der Graphik aber steht – wie im Roman – der Mensch: Eine zeitlose Heldenfigur, die mit einem Bein auf der Erde, mit dem anderen auf dem Mars zu stehen scheint, in altmodischer Abenteurer-Kleidung, aber mit einer sehr modernen, »cool« wirkenden Gestik, und die optimistisch in die Zukunft zu blicken scheint.
Diese aussagekräftige Bildgestaltung zusammen mit einer technisch und künstlerisch ausgezeichneten Ausführung haben die Mehrheit der deutschsprachigen SF-Schaffenden dazu bewogen, Thomas Thiemeyer für das Titelbild zur Neuedition von Kurd Laßwitz’ Roman »Auf zwei Planeten« den Kurd Laßwitz Preis 1998 zu verleihen.
Heiko Michael Hartmann, »MOI«
(Produktion: Südwestrundfunk, Regie: Oliver Sturm)
Heiko Michael Hartmann führt in seinem Hörspieldebüt den medizinischen Fortschritt vor, der Menschen auch in völlig reduziertem Zustand am Leben erhalten kann, zum Torso verkümmert, nur noch Objekt für Medizinstudenten und für den letzten voyeuristischen Blick im Reality-TV kurz vor dem Exitus.
Was vordergründig mit Mustern der Boulevardkomödie und der Groteske spielt, erweist sich als Zustandsbeschreibung einer geschwätzigen, fremdbestimmten Massenkultur und des ihr ausgelieferten Individuums, infiziert und infiltriert von einem Virus, das ganz unmetaphorisch-direkt mit Geld assoziiert ist. Geld nicht nur als Auslöser, sondern Inbegriff der Erkrankung einer auf Kommerz und Konsum reduzierten, egozentrierten Gesellschaft.
Darüber hinaus und vor allem aber steht „MOI“ für die Krankheit unserer Zeit: Input wörtlich genommen, Medienwahnsinn zwischen Kulturverflachung und Werbeidiotie: Input bis zum Platzen.
Will Science Fiction als Hochrechnung des Ist-Zustandes verstanden sein, dann ist der Autor diesem Anspruch in seiner sarkastischen Anamnese geradezu beklemmend makaber gerecht geworden, vom Produktionsteam in seiner medialen Lächerlichkeit stringent und situationsgenau in Szene gesetzt. Wo die Tragödie ausgereizt ist, bleibt nur mehr Raum für das Satyrspiel.
Das Hörspielgremium stimmte mehrheitlich dafür, Heiko Michael Hartmann und dem SWR für diese Leistung den Kurd Laßwitz Preis für das beste SF-Hörspiel des Jahres 1998 zu verleihen.
Rudi Schweikert für die liebevolle und kompetente Neuedition von Kurd Laßwitz: »Auf zwei Planeten«
Rudi Schweikert hat sich dieser schwierigen Aufgabe gestellt und mit der Neuedition von Kurd Laßwitz’ Roman »Auf zwei Planeten« eine Ausgabe eines Klassikers geschaffen, die Vorbild sein sollte für alle nachfolgenden Bearbeitungen klassischer Werke. Seine vorsichtige und sanfte Adaption des Urtextes an die heutige Grammatik (ohne Rechtschreibreform) glättet den Roman, ohne ihn der Diktion der Jahrhundertwende zu berauben. Die umfangreichen Anhänge zum Roman und zum Autor erschließen dem Leser weitere Ebenen des Werkes und machen die Neuedition zu einem besonderen Leseerlebnis.
»Liebevoll« und »kompetent« sind zwei Eigenschaften, die im Umgang mit Texten das höchste Lob bedeuten und sehr treffend diese Arbeit von Rudi Schweikert beschreiben, was die Mehrheit der deutschsprachigen SF-Schaffenden dazu bewogen hat, Rudi Schweikert dafür den Kurd Laßwitz Preis 1998 zu verleihen.
Quelle: Udo Klotz, © Ulrich Bettermann (Foto), Schneekluth, bzw. Heyne Verlag (Titelbildabbildung)