Deutscher Science Fiction Preis 1999: Die Gewinner!

Im Rahmen der 11. SF-Tage NRW in Dortmund wurden am Freitag, dem 21. Mai 1999, die Gewinner des Deutschen Science Fiction Preises 1999, der vom Science Fiction Club Deutschland e.V. verliehen wird, bekanntgegeben. Zur Preisverleihung, die im Anschluß an die Eröffnung des Cons stattfand, waren beide Gewinner anwesend und nahmen ihre Preise persönlich entgegen.

Bester Roman des Jahres 1999

Andreas Eschbach
JESUS VIDEO
Schneekluth Verlag

Beste Kurzgeschichte des Jahres 1999

Michael Marrak
DIE STILLE NACH DEM TON
in: „Die Stille nach dem Ton“, Michael Marrak, Edition Avalon

Alle Plazierungen:

Roman

1. „Jesus Video“, Andreas Eschbach (Schneekluth Verlag)
98 Punkte
2. „Digitale Tänzer“, Hartwig Hilgenstein (Argument Verlag)
80 Punkte
3. „Abschied von Newton“, Gert Heidenreich (DVA)
76 Punkte
4. „Wiener Blei“, Leo Lukas (Fantasy Productions)
67 Punkte
5. „Statistiker des Todes“, Uwe Anton (BSV)
59 Punkte
6. „Der Tod der Physiker“, Timothy McNeal (Rainar Nitzsche Verlag)
58 Punkte
7. „Big Dablju“, Klaus Middendorf (Suhrkamp Verlag)
57 Punkte
8. „Socialdemokraten auf dem Monde“, Ronald M. Hahn (Heyne Verlag)
50 Punkte

Kurzgeschichte

1. „Die Stille nach dem Ton“, Michael Marrak, in: „Die Stille nach dem Ton“, Michael Marrak, Edition Avalon
100 Punkte
2. „Astrosapiens“, Michael Marrak, in: „Die Stille nach dem Ton“, Michael Marrak, Edition Avalon; ebenso in: Alien Contact 32, Edition Avalon
80 Punkte
3. „Beta-Visionen“, Frank Borsch, in: c’t – Magazin für Computertechnik 5’98
70 Punkte
4. „Borgen“, Bernd Kreimeier, in: c’t – Magazin für Computertechnik 25/26’98
64 Punkte
5. „Adam“, Christian Hoffmann, in: Alien Contact 33, Edition Avalon
63 Punkte
6. „Greedy – der Duft der Orangen“, Bernhard Kempen, in: Alien Contact 32, Edition Avalon
61 Punkte
7. „Atlantic City“, Ady Henry Kiss, in: „Atlantic City“, Ady Henry Kiss, Suhrkamp TB 2838
44 Punkte
8. „Immer Ärger mit dem Tod“, Uwe Hermann, in: c’t – Magazin für Computertechnik 17’98
34 Punkte

Laudatio auf „Jesus Video“ von Andreas Eschbach:

JESUS VIDEO von Andreas Eschbach, (c) Schneekluth VerlagDas Jahrtausend neigt sich seinem Ende zu. Zumindest in der abendländischen Zeitrechnung, in der wir das Jahr 1999 schreiben. Das Jahr 1999 nach Christi Geburt, um genau zu sein.

Dabei weiß niemand so ganz genau, ob Jesus von Nazareth tatsächlich gelebt hat. Die schriftlichen Berichte über sein Leben, seine Taten und seinen Tod sind alle erst Jahrzehnte später entstanden. Andererseits geht es in der Religion ja auch nicht um das Wissen – sondern um den Glauben.
Aber was wäre, wenn man die Frage, ob Jesus tatsächlich gelebt hat, ein für allemal klären könnte?

In dem Roman „Jesus Video“, der hier ausgezeichnet werden soll, stellt sich den Protagonisten im Laufe der Handlung genau diese Frage. Stephen Foxx, ein amerikanischer Student, ist bei Ausgrabungen in Israel beschäftigt. In einem Grab findet er neben einem zweitausend Jahre alten Skelett eine ebenso alte, merkwürdige Grabbeigabe. Wobei merkwürdig untertrieben ist, denn eigentlich ist sie unglaublich – es handelt sich nämlich um die Bedienungsanleitung für eine digitale SONY Videokamera, die noch nicht einmal auf dem Markt ist!

Ein Schwindel scheint ausgeschlossen, und so bleibt die Frage, wie diese Bedienungsanleitung in die Vergangenheit gelangen konnte. War der Tote vielleicht ein Zeitreisender, der eine Expedition ohne Rückfahrtticket unternahm? Einmal Israel und nicht zurück?
Die Beteiligten sind sich einig, daß ein Besucher in dieser Zeit nur ein Ziel haben konnte: er wollte Jesus treffen und sogar Videoaufnahmen von ihm machen!

Man stelle es sich nur mal vor: zu Ostern würde man plötzlich keine Bibelschinken Marke Hollywood mehr vorgesetzt bekommen, sondern im Programm der großen Fernsehsender würden sich Originalaufnahmen der Kreuzigung finden!

Medienzar John Kaun, der die Ausgrabungen finanziert, wittert hier das ganz große Geschäft! Die katholische Kirche würde sicher gigantische Geldsummen zahlen, um in den Besitz dieser Aufnahmen zu gelangen. Aber auch Stephen Foxx hat den Ehrgeiz, zusammen mit seinen Freunden das Rätsel zu lösen. Und so entwickelt sich ein Rennen um einen Gegenstand, dessen Existenz man nur vermuten kann: das „Jesus Video“.

Der dritte Roman von Andreas Eschbach trägt zurecht die Bezeichnung „Science Thriller“ auf dem Umschlag. Und wer dabei zuerst an Schriftsteller wie Michael Crichton denkt, liegt gar nicht mal so verkehrt.
Eschbach gelingt es, die Elemente der Science Fiction in der von Wissenschaft, Realität und Logik geprägten Geschichte unterzubringen. Und damit beweist er einmal mehr, daß auch deutsche Autoren mitreißende Spannungsromane mit phantastischem Hintergrund verfassen können.

Überraschende Wendungen machen den Reiz des Buches aus. Insbesondere der Schluß zeigt, daß Eschbach dem alten Science Fiction-Thema der Zeitreise noch interessante und fesselnde Facetten abgewinnen kann.

Denn eigentlich geht es dem Autoren gar nicht darum die Frage zu behandeln, ob Jesus Christus wirklich gelebt und Wunder gewirkt hat. Wichtig sind die Konsequenzen, die sich daraus ergeben; die Botschaft Jesu Christi, die uns geblieben ist.

Und so vollzieht sich auch eine Wandlung bei den Hauptpersonen des Romans. Der Kontakt mit dem Mythos hat ihr Leben für immer verändert und sie „menschlicher“ gemacht. Und den Leser vielleicht ein wenig glücklicher.

„Jesus Video“ ist ein, in jedem Sinne des Wortes, phantastischer Roman: hintergründig, mitreißend und anspruchsvoll. All dies hat das Komitee dazu bewogen, „Jesus Video“ von Andreas Eschbach mit dem „Deutschen Science Fiction Preis“ für den besten Roman des Jahres 1998 auszuzeichnen.

Florian Breitsameter & Ulrich Bettermann – für das Preiskomitee, Mai 1999

Laudatio auf „Die Stille nach dem Ton“ von Michael Marrak:

DIE STILLE NACH DEM TON von Michael Marrak, (c) Edition AvalonRadiant, die Hauptfigur von „Die Stille nach dem Ton“ sieht gerade fern, es läuft „Brazil“ von Terry Gilliam, als der Blitz ins Haus einschlägt. Danach kann sein Fernseher nur noch Kanal 6 empfangen. Dieser entpuppt sich als das Medium GOTTES. Alles was Radiant dort sieht, verschwindet aus der Wirklichkeit, ohne Spuren zu hinterlassen. Zuerst sind es die Glocken, dann die Hunde, schließlich Bäume. Und das ist nicht das Ende. Verzweifelt und verstört sucht Radiant nach Spuren in den Köpfen der Menschen, in Büchern. Aber nur er kann sich erinnern, daß es all dies gegeben hat. Warum nur er? Im Schlaf betritt er Gottes Welt und erfährt von ihm, was geschieht. Die Welt, oder genauer das Sonnensystem wird defragmentiert, in seine Bestandteile zerlegt und soll später wieder aufgebaut werden, und er, Radiant, soll dabei eine entscheidende Rolle spielen. Da alles nach Plan verläuft, solle er sich keine Sorgen machen.

Das Phantastische braucht immer eine reale Basis, um sich wirkungsvoll entfalten zu können. So ist es auch in dieser Erzählung. Radiant ist ein durchschnittlicher Charakter, der mehr reagiert als daß er agiert. Und die Stadt, in der er lebt und die Defragmentierung erlebt, ist durch charakteristische Örtlichkeiten eindeutig als Stuttgart zu erkennen.

Mit seiner einzigartigen Phantasie und seiner Sprachmächtigkeit gelingt es Michael Marrak immer wieder und besonders in dieser Erzählung, Phantastisches plastisch und sinnlich vor die Augen des Lesers treten zu lassen. Die so geschaffenen Welten sind so eigenwillig und entziehen sich einem oberflächlichen Begreifen, daß jede Beschreibung fast zwangsläufig zu einer Nacherzählung werden muß. So auch in dieser Geschichte, in der Gott, das religiöse Standardprogramm, drei Augen hat und in immer neuen ausgefallenen Kostümierungen auftritt und in der hundelosen Welt Bären die Rolle der Blindenführer übernehmen.

Die Stille nach dem Ton läßt sich nicht einem Genre zuordnen und verweigert sich auch einem eindeutigen Sinn. Sie ist spekulativ und phantastisch, hat aber auch groteske Züge. Nicht zuletzt liegt ihr eine große innere Spannung zugrunde. Und am Ende wird der Leser entlassen, mit einer Ahnung davon, wie die Welt auch beschaffen sein kann.

All dies hat das Komitee dazu bewogen, „Die Stille nach dem Ton“ von Michael Marrak mit dem „Deutschen Science Fiction Preis“ für die beste Erzählung des Jahres 1998 auszuzeichnen.

Michael Baumgartner – für das Preiskomitee, Mai 1999