»Ich fange jetzt an, Perry Rhodan zu lesen, basta!«
Tatsächlich erst seit Band 2100. Ich bin nie Perry-Fan gewesen und auch nie Perry-Gegner. Ich habe in früheren Jahren immer mal wieder für eine Handvoll Hefte in die Serie hineingeschnuppert, meist zu irgendeiner Jubiläumsnummer, habe auch die ersten zwei, drei Silberbände und das eine oder andere Taschenbuch probiert. Aber Serien lassen den Leser Böhmert in der Regel kalt. Im Heftbereich hat es nur zwei Ausnahmen gegeben. Zum einen den Dämonenkiller, zum anderen Atlan Exklusiv. Atlans herrlich bunte, fast schon romantische Jugendabenteuer – dichter bin ich als Leser an den Rhodan-Kosmos nie herangekommen.
Nein, mein für manche sicher überraschendes Mitschreiben an der Andromeda-Miniserie erklärt sich vor allem dadurch, dass Klaus Frick und mich seit gut zwanzig Jahren eine lockere Freundschaft verbindet. Klaus hat meine Geschichten immer gut gefunden; wer sein Fanzine Sagittarius kennt, kennt auch den Fan-Autor Böhmert ganz gut.
Seit wir beide Profis sind, er als Redakteur, ich als Schriftsteller, haben wir regelmäßig gesagt: Hey, wir müssen unbedingt einmal etwas zusammen machen. Dazu ist es dann aus den verschiedensten Gründen nie gekommen, aber unter anderem eben auch deshalb, weil ich kein Hintergrundwissen als Perry-Leser mitbringen konnte. Und darum bin ich letztes Jahr auf der Frankfurter Buchmesse zu Klaus an den Stand gestapft und habe gesagt: Klaus, ich fange jetzt an, Perry Rhodan zu lesen, basta!
Dann bist du ja eigentlich erst sehr spät in die Serie eingestiegen…
Eigentlich ist gut!
… und hast so sicher auch eine andere Sicht auf den Perry Rhodan-Kosmos als so mancher Leser. Was, denkst du, ist das Besondere an Perry Rhodan? Was macht die besondere Faszination der Serie aus?
Das Verblüffendste für mich war festzustellen, wie sehr die Team-Autoren ihre jeweiligen, enorm unterschiedlichen Temperamente ausleben dürfen. Dass da das eine Heft schon fast eine Selbstparodie darstellt, das nächste dann mehr ein Spannungsroman ist und das übernächste wiederum von wissenschaftlichen oder auch pseudowissenschaftlichen Überlegungen wimmelt und dass bei all diesen unterschiedlichen Herangehensweisen insgesamt trotzdem eine große Geschichte durcherzählt wird – das scheint mir etwas ganz Be sonderes zu sein. So etwas habe ich bisher eigentlich nur im Fernsehbereich gefunden, in der ersten Staffel von „Emergency Room“ etwa.
Als Leser kann ich die Frage nach der besonderen Faszination noch nicht beantworten; es wird ja auch immer wieder behauptet, dass man erst so drei Dutzend Hefte hintereinander gelesen haben muss, bis sich der Sogeffekt einstellt. Beeindruckt haben mich jedenfalls Leo Lukas mit „Die Hand der Vorsehung“ (2102) und „Quintatha“ (2118), Susan Schwartz mit „Samahos Erbe“ (2108), Arndt Ellmer mit „Sturm auf den Irrläufer“ (2116) und Uwe Anton mit „In der Zwielichtzone“ (2124). Die haben mir auf jeweils ganz individuelle Weise großen Spaß gemacht.
Und dann wurdest Du als Autor für den vierten Band des Andromeda-Minizyklus ausgewählt…
Und dann haben Klaus Frick und ich nach der Buchmesse via E-Mail und Telefon die verschiedenen Möglichkeiten abgeklopft, die es so gäbe für eine Mitarbeit. Und weil ich zwar allgemein so Einiges drauf, aber im Heftbereich absolut null Erfahrung habe, sind wir schnell zu dem Schluss gekommen, dass ich keinen Gastroman schreiben, sondern lieber an einem Projekt abseits der Hauptserie mitarbeiten sollte. Und das Erste, was da spruchreif wurde, war dieser Sechsteiler. Und dann habe ich im Januar das erste Arbeitspapier dafür gelesen und mich in den Band 4 verkuckt und den glücklicherweise sogar bekommen …
Du hast für den Andromeda-Minizyklus auch umfangreichere Recherchen angestellt?
Himmel, klingt das nach Maloche! Das hast du von Klaus Bollhöfener, nicht? Der ist, glaube ich, schwer beeindruckt gewesen, als ich ihm im März auf dem AlienCon hier in Berlin ganz begeistert von den Büchern erzählt habe, die ich mir gerade zugelegt hatte. Aber das Exposé zu meinem Band 4 legte einfach nahe, darin gewisse Sachen vorkommen zu lassen, die mich auch privat interessieren. Ich gebe mal ein paar Stichworte: Ethnobotanik, Schamanismus, Ruinen, Aufeinanderprallen von High-Tech und Wildnis. Was lag da näher, als mir endlich einmal wieder ein paar Bücher zu diesen Themen zu gönnen und ein paar Streifzüge durch Industrieruinen und Brachflächen hier in Berlin zu unternehmen und auch die eine oder andere seltsame Pflanze zu probieren, die ich schon immer mal hatte probieren wollen? Das war keine Maloche, das hat einfach Spaß gemacht.
Den größten Umfang nehmen eigentlich meine Perry-spezifischen Recherchen ein: ich muss halt oft auf die Nathan-Seiten hüpfen oder in die Crest-Datei, muss oft Klaus oder meine Andromeda-Kollegen nerven. Ich lese jetzt die Erstauflage mit; ich habe mir das letzte Dutzend Perry Rhodan Perspektiven zugelegt und bin auch schon fast durch damit; ich habe diesen Werkstattband studiert und etliche Sol-Nummern und habe mir auch antiquarisch die ersten dreißig Silberbände zugelegt. Aber die werde ich natürlich nicht mehr schaffen bis zum Abgabetermin.
Die Handlung des wichtigsten Andromeda-Heftzyklus, die Geschichte der »Meister der Insel«, hast du dir dann anderweitig angelesen?
Ja, nur in der Zykluszusammenfassung und in diversen Datenblättern, so weit die sich darauf beziehen.
War es dir bei deiner Lektüre und deinen Recherchen wichtig, vor allem Hintergrundwissen über die Serie zu gewinnen, oder ging es mehr darum, ein »Gefühl« für die Welt des Perry Rhodan zu bekommen?
Mich in die Serienwelt einzufühlen, ist eindeutig der wichtigste Punkt. Ich muss ja ein Gespür dafür entwickeln, welche Details stimmig sind. Das ist die einzige Chance für einen Außenseiter wie mich, den Roman so hinzubekommen, dass ein Stammleser nach der Lektüre sagen kann: Hey, schön rund, schön dicht – ein richtiger Lesespaß. Und den Ehrgeiz habe ich schon, dass die eine oder der andere das dann sagen kann.
Was das Hintergrundwissen angeht, so hat Klaus Frick im Vorfeld gemeint: Keine Sorge, Frank, das mit den Perry-Interna kriegen wir schon hin. Da hat er sicher auch Recht. Aber wenigstens ansatzweise möchte ich trotzdem selber durchblicken. Nur so kann ich ja unmittelbar beim Konzipieren schon entscheiden, welche Ideen sich überhaupt einzubringen lohnen. Nicht, dass ich Klaus etwas vorschlage, von dem er dann sagt: Ja, schöne Sache, haben wir schon ausführlich in Band 193 abgehandelt… Oder noch schlimmer: neulich in Band 2093!
Drittens will ich nicht nur wissen, was es bereits gibt, sondern auch, was zumindest die aktive Leserschaft gern hätte – um zu schauen, was davon ich liefern kann.
Und zu guter Letzt lese ich das alles auch aus einer gewissen Hochachtung den Stammautoren gegenüber. Wie könnte ich mir denn einbilden, einen halbwegs anständigen Perry-Roman abzuliefern, wenn ich deren Arbeit einfach ignorierte?
Nun ist so ein Minizyklus-Taschenbuch aber doch etwas anderes als ein Heftroman. Immerhin liegt der Umfang zwischen 250 und 300 Seiten.
Was glatte drei Heftromane wären!
Und der Zyklus erscheint im Heyne Verlag und soll dort sicher auch Nicht-Perry-Leser ansprechen, oder?
Absolut. Das dürfte auch einer der Gründe gewesen sein, mich daran mitschreiben zu lassen. Bei mir braucht niemand aus der Redaktion Angst zu haben, dass ich mit Bezügen etwa zum MdI-Zyklus nur so um mich werfe. Diese Gefahr tendiert gegen Null, würde ich sagen. Womit ich vielleicht den alten Hasen keine große Freude mache, aber dafür hoffentlich den Leuten, die in der Buchhandlung neugierig geworden und ansonsten so unbedarft sind wie ich.
Mit Perry-Geschichtskenntnissen kann ich nicht protzen. Ich kann mich nur ordentlich reinhängen und mit dem zu glänzen versuchen, wofür meine verstreuten Kinder- und Jugendgeschichten der letzten Jahre ab und zu gelobt werden: mit den Dialogen, der Sprache, der Figurenzeichnung, dem Witz. Spannend soll es natürlich auch noch werden. Und prall erzählt! Und pünktlich abliefern will ich mein Skript auch noch. Harr harr, Klaus dürfte manchmal ganz schön schwitzen, wenn er an den Vierer-Band denkt … Aber ein alter Punkrocker und Afrikafahrer muss das aushalten.
Was macht Frank Böhmert, wenn er gerade nicht an einem Roman für Perry Rhodan arbeitet?
Dass ich ab und zu Geschichten für Kinder und Jugendliche schreibe, habe ich gerade schon erwähnt. So wird zum Beispiel pünktlich zu Halloween bei dtv junior ein Grusel-Lesebuch erscheinen („Schön schaurig“, hg. von Sophia Marzolff), in dem sich eine fiese kleine Geschichte von mir findet. „Der Baum beim Blutbunker“ ist sie betitelt, schön mit Stabreim, wie es sich im Horrorbereich gehört. Und natürlich habe ich alles selbst erlebt.
Ansonsten habe ich die vergangenen acht Jahre fleißig übersetzt. Kaum SF, weil die mir bei zu viel Arbeit zu schlecht bezahlt wird, sondern hauptsächlich Gegenwartsliteratur, die nach Möglichkeit einen komödiantischen oder abenteuerlichen Einschlag hat. Auf mein Konto gehen zum Beispiel „Große Abenteuer“ von Mark Childress, eine tolle Kriegs- und Vater/Sohn-Geschichte bei Goldmann, sowie bei Heyne „25 Stunden“ von David Benioff, ein Beinahe-Krimi, der dieser Tage von Spike Lee verfilmt wird, und der moderne Klassiker „Die Reifeprüfung“ von Charles Webb, ein zugleich quälender und witziger College-Roman, der die Verfilmung mit Dustin Hoffman noch locker toppt.
SF- und Mysteryfans sollten in Zukunft öfter mal kucken, was dtv junior so parat hält; da werden einige Böhmert-Übersetzungen mit phantastischem Einschlag herauskommen. „Zartog aus dem All“ von Herbie Brennan ist schon erschienen, ein extrem witziges Kinderbuch, das gerade auf allen möglichen Empfehlungslisten landet; und im Herbst erscheint das Jugendbuch „Starbright und der Traumfresser“ von Joy Cowley, die so etwas wie die neuseeländische Astrid Lindgren ist. So bin ich am Ende auch als Übersetzer wieder bei der SF gelandet – kommt davon, wenn man im zarten Alter von neun Jahren mit einem Stapel Utopia-Großbände infiziert wird, die der Lieblingsonkel aussortiert hat.
Du hast aber auch im letzten Jahr einen wunderbaren Roman mit dem Titel »Der Elefant auf dem Dach« veröffentlicht, der uns Berlin aus einem völlig neuen Blickwinkel zeigt…
Ja, aus dem eines lebendig gewordenen Plüschelefanten namens Berni. Der schlägt sich durch das Kreuzberg der Wendejahre und versucht dabei Einiges über das Leben, das Universum und den ganzen Rest herauszufinden. Unter anderem, was das eigentlich meint, wenn jemand vorschlägt, sich gemeinsam einen hinter die Binde zu kippen. Berni, der als junges Stofftier etliche Zeichentrickserien hat über sich ergehen lassen müssen, fragt sich an einer Stelle auch, was wohl ein Furz ist. Etwas Großes vielleicht, überlegt er. Etwas Schweres. Ein Panzerschrank. Weil wenn man den an ein Seil hängt und auf jemanden drauffallen lässt, gibt das ein Geräusch – furz.
Ansonsten geht es in diesem meinem Erstlingsroman um Haschischkekse und Wodka, Trödelläden und Flohmärkte, um die unglücklichen Lieben zu einer Plüschgiraffe und einer jungen weißrussischen Gräfin, um die Freundschaften mit einem Krimis lesenden Raben und einem alternden Beatnik-Lebemann, um schöne Beine in noch schöneren zerfetzten Strumpfhosen und um die Frage, was eigentlich schlimm daran sein soll, wenn dicke Daimler auf dem Fußweg fahren.
Bernhard Kempen hat also definitiv Recht, wenn er in Alien Contact schreibt, das Ganze sei »ein Kinderbuch, nur für Erwachsene«. Schade, dass mir der Spruch nicht selber eingefallen ist! Den hätte ich gern für den Umschlagtext vorgeschlagen.
Das Buch, zu dessen Veröffentlichung sich übrigens neun Jahre lang kein Verlag hatte durchringen können, hat anständige bis sehr gute Kritiken bekommen. Nur Kurt Denkena hat es in seinen SF-Notizen verrissen. Was wiederum absolut dafür spricht, dass ich jetzt einen Perry-Roman schreibe. An der größten Weltraumserie hat Kurt ja auch kaum ein gutes Haar gelassen …
Apropos »größte Weltraumserie« – könntest du dir überhaupt vorstellen für PERRY RHODAN als Teamautor zu arbeiten? Oder bevorzugst du es als Autor eigene Ideen zu verfolgen und umzusetzen?
Vorgriff auf die Zukunft, um mal einen alten deutschen Titel von L. Sprague de Camp zu zitieren! Im Klartext: Ich habe, was das Schreiben oder auch nur das Übersetzen angeht, noch nie in einem Team gearbeitet. Ich habe noch nie ein Exposé ausgeführt, das jemand anders geschrieben hat. Ich habe noch nie einen Roman von 300 Seiten Länge geschrieben. Ich habe noch nie mit festem Abgabetermin geschrieben. Mir fehlt da also dermaßen viel Erfahrung, dass ich mir nicht einmal wirklich vorstellen kann, was es überhaupt hieße, allgemein in einem Serien-Team mitzuarbeiten – von PERRY RHODAN ganz zu schweigen.
Utopia-Großbände hast du eben schon erwähnt als frühen Einfluss. Was findet sich denn heute so an SF und Fantasy in deinem Regal?
An Fantasy fast gar nichts. George Martins »A Song of Ice and Fire« ist großartig. Eine Art erwachsen gewordener »Herr der Ringe«. Kommen sogar Frauen drin vor, Mr. Tolkien, Sir!
SF habe ich viel gelesen, sehr viel. Mein liebster toter SF-Autor ist Philip Dick. Der Mann war mit einem großen Herzen, einem anmaßenden Geist und dem Humor der Verzweiflung gesegnet. Mein liebster lebender SF-Autor ist Ian McDonald. Einmal im Leben etwas schreiben, das so rund, einfühlsam, abgefahren, spannend, irritierend und lebensbejahend ist wie »Narrenopfer«! Und der Kerl ist noch so jung. Wie macht der das?
Martin, Dick, McDonald – du merkst, ich stehe mehr auf die wuchtigen Schriftsteller. Als deutscher Möchtegern-Volksschriftsteller kann ich mir natürlich auch von Andreas Eschbach die eine oder andere Scheibe abschneiden.
Und Robert B. Parker ist Gott. Seine Spenser-Krimis lassen viele kalt, aber für mich gibt es keinen besseren, was Dialoge und den Einsatz von Beschreibungen angeht. Parker schreibt, wie ein guter Boxer boxt: locker und punktgenau und in den entscheidenden Momenten mit Feuer.
Hey, das könnte ja schon fast mein Lebensmotto sein.
Anmerkung: Das Interview wurde im Mai und Juni 2002 per E-Mail geführt und erschien bereits in SOL 28
© Frank Böhmert & Florian Breitsameter