Alan Moores Captain Britain

Der WATCHMEN-Film ist ein Werk für eine Minderheit geblieben  oder zumindest nicht soweit im Mainstream angekommen, wie vielleicht der Autor befürchtete. Das läßt das Gesamtwerk von Alan Moore weiter als »Insider«-Geschichte erscheinen. Der Brite paßt anscheinend nur in die Schublade »verschrobenes Genie« – und schon in seinem Frühwerk, den Arbeiten für Marvels »Captain Britain«, läßt sich dieser Status erkennen.

Captain Britain ist der typische Marvel-Superheld mit tragischer Familiengeschichte, der vom mächtigen Zauberer Merlin auserwählt und mit phantastischen Fähigkeiten ausgestattet wird. Manchmal ist für diese ein Amulett, mal sein Anzug, manchmal er selbst verantwortlich.  Chris Claremont führt den Charakter ein und integriert ihn später voll ins Marvel-Universum – so bekommt er 1978 ein Zusammentreffen mit Spider-Man spendiert. Für »Marvel Superheroes« beginnt Autor Dave Thorpe eine Geschichte aus dem Marvel-Omniversum, in dem es um die Rettung von Erde-238 geht. Die bisher in einem Amulett und einem Ring geborgenen Superkräfte gehen auf seinen Anzug über. Zusammen mit der Majestrix der »Galaktischen Entwicklungshilfe« Saturnyne scheint die Rettung des Erde-238-Universums zu gelingen. Da versinkt diese Welt in Chaos, Saturnyne verdrückt sich, treue Begleiter und Captain Britain selbst kommen ums Leben, ermordet von einer wahnsinnigen Kreatur namens Fury, die konstruiert wurde, um alle Superhelden einer Welt zu töten. Mit Ausnahme ihres Schöpfers, des Mad Jim Jaspers, der Realitäten verändern kann und das Potential zur Vernichtung des Omniversums besitzt.

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So weit, so klassisch die »wahnsinnige« Superhelden-Storyline der achtziger Jahre, in der nicht nur Welten sondern ganze Universen bedroht oder vernichtet werden. Unvermittelt und verwirrend beginnt mit diesem »Rest« des Erde-238-Zyklus die lobenswerterweise jetzt auf Deutsch erschienene Gesamtausgabe der CAPTAIN-BRITAIN-Geschichten von Alan Moore – Dank sei der WATCHMEN-Verfilmung. Ganz sicher kein leichter Einstieg für Neos, aber wer es schafft, die ersten Seiten als »Prolog« zu sehen (es handelt sich um die Bände Marvel Superheroes 386 und 387) der bekommt netterweise in Folge noch einmal die Geschichte des Captain Britain alias Brian Braddock serviert, dessen Eltern bei einem gräßlichen Laborunfall ums Leben kommen – was, traumatisch dazu führt, daß er sich mit Schuldgefühlen quält. Merlin und dessen Tochter Roma, Hüter des Omniversums, bereiten ihn auf den nächsten Kampf gegen Jasper vor, die Geschichten aus »The Daredevils« 1-11 und »The Mighty World Of Marvel« 7-13  erzählen davon.

Alan Moore läßt in seinem Vorwort mehr als nur durchblicken, daß er bei CAPTAIN BRITAIN ziemlich ins kalte Wasser geworfen wurde, als Autor Dave Thorpe aussteigt. »Die ersten Szenen zeigen einen Autor, der erst seine dritte oder vierte Serie in Angriff nimmt und mitten in eine laufende Geschichte einsteigt, die er weder begonnen noch vollständig verstanden hat. In kurzen, sechsseitigen Abschnitten geschieht möglichst viel, um lose Enden der vorausgegangenen Geschichte zu verknüpfen und die Basis für die anstehende Generalüberholung zu schaffen.«

Generalüberholung ist dabei ein prima Stichwort, denn ebenso wie Merlin Captain Britain aus DNA-Resten rekonstruiert und dessen Geist und Seele wiederherstellt, genau so bringt Moore zusammen mit Davis ein wenig erzählerischen Schwung in die Geschichte. Gespickt ist die nun folgende Plotline mit netten Abseitigkeiten, etwa wenn ein formidabler Superheldenkampf in einem Comicladen ausgetragen wird und die Nerds vom Dienst natürlich Angst um kostbare (X-Men)-Erstausgaben haben.

Die Geschichte selbst ist an sich nicht der Brüller: Braddock wird von seiner PSI-begabten Schwester um Hilfe gebeten, da das SHIELD-Gegenstück im Vereinten Königreich S.T.R.I.K.E. unterwandert und übernommen wird. Er hat allerdings kaum Zeit, sich um dieses Problem zu kümmern, da wird er schon von einer illustren Truppe namens »Special Executive« entführt und soll im Gerichtsverfahren gegen Saturnyne als Zeuge der Verteidigung aussagen. Auf seiner Erde gewinnt ein gewisser Herr Jaspers an politischem Einfluß, und ein übriggebliebener Bewohner der zerstörten Erde -238 kommt an: Fury. Jaspers manipuliert das politische Klima, Superhelden werden verfolgt und interniert. Es kommt, natürlich, zu einer finalen Konfrontation zwischen Wahnsinnigem, Mordmaschine und Superhelden.

Ja, das macht Spaß zu lesen, und Moore entwirft mit leichter Hand interessante Charaktere und punktet bei vielen Dialogen mit Wortwitz und Lakonie. Aus heutiger Perspektive fällt ein auftauchender Smiley auf, die gekonnte Parallel-Montage von Handlungssträngen, die auf die »Watchmen« hinweisen. Und auch die besten Seiten aus »Gespräche bei Kerzenlicht« in einem britischen Konzentrationslager führen den beklemmend politischen Moore vor. Ein früher Meister, so würde man das wohl nennen.

Die Zeichnungen von Alan Davis werden zunehmend großflächiger, Seiten spannend montiert, und so passen Inhalt und Form über weite Strecken wunderbar zueinander.

Um nicht zu übertreiben: es bleibt alles im Rahmen des Marvel-Möglichen. Aber aus heutiger Perspektive vermag dieser CAPTAIN BRITAIN vielleicht sogar noch mehr Spaß zu bereiten als beim Erscheinen. Auf jeden Fall: es hat sich gelohnt, die über 200 Seiten ins Deutsche zu übertragen.

Alan Moore, Alan Davis CAPTAIN BRITAIN Trade-Paperback, Paninicomics 2009