Schneekluth Verlag, Hardcover
ISBN 3-7951-1625-2
Originalausgabe
Umschlagkonzept ?
München August 1998, 44.00 DM, 610 Seiten
Nach galaktischen Sternenreichen in »Die Haarteppichknüpfer« und einer Raumstation in der nahen Zukunft im Buch »Solarstation« führt uns der dritte Roman des Stuttgarter Autors Andreas Eschbach zurück in die Gegenwart. »Science Thriller« lesen wir auf dem Titel, und wer dabei an Schriftsteller wie Michael Crichton denkt, liegt gar nicht mal so verkehrt. Eschbach beweist einmal mehr, daß deutsche Autoren nicht nur nörgelige Sozialphantasien, sondern auch mitreißende Spannungsromane mit phantastischem Hintergrund verfassen können.
Ein Forscherteam entdeckt bei Ausgrabungen in Israel in einem gut 2000 Jahre alten Grab die Gebrauchsanleitung einer Videokamera. Es stellt sich heraus, daß das kleine Büchlein ebenso alt ist, wie das Skelett des Toten. Dessen Amalgamfüllungen, wie auch die Tatsache, daß die zur Anleitung gehörende Videokamera erst in etwa drei Jahren auf den Markt kommen soll, lassen – offenbar – nur einen Schluß zu: In naher Zukunft wird die Zeitreise möglich sein. Scheinbar ist jemand, mit modernster Technik ausgestattet, in die Zeit von Jesus zurückgereist, um Videoaufnahmen von ihm zu fertigen. Offenbar war die Zeitreise aber nur in eine Richtung möglich. Doch in diesem Fall müßte, so schließen die Forscher, irgendwo noch die Kamera selbst versteckt sein. Und in dieser das Jesus-Video.
Damit beginnt eine aufregende Suche, die in diversen, geradezu genialen Handlungseinfällen mündet. Eschbach gelingt es, trotz des scheinbar einfachen und klaren Plots immer wieder Überraschungen aus dem Ärmel zu schütteln und den Leser zu verblüffen. So hat eine der Hauptpersonen, der Ausgrabungshelfer Stephen Foxx, ein weiteres Papier aus dem Grab für sich behalten. Er versucht, die verblaßte Schrift zu rekonstruieren. Die allmähliche Entschlüsselung des Inhalts stellt die Geschichte das eine oder andere mal völlig auf den Kopf und bringt den Leser dazu, bisherige Annahmen zu überdenken. Als Foxx‘ Auftraggeber, der Medienmogul John Kaun, dahinterkommt, daß der junge Mann den wichtigsten Fund verbirgt, entwickelt sich eine spannende Verfolgungsjagd, die sich beinahe durch das ganze Buch zieht.
Bis zum Schluß bleibt offen, wo – und ob überhaupt – das Video existiert und Andreas Eschbach bedarf diverser Epiloge, um alle Geheimnisse schlüssig und vor allem zufriedenstellend aufzudecken. Wie das Buch ausgeht, werde ich hier nicht einmal andeuten, aber ich kann ein bis zum Schluß fesselndes Leseabenteuer voraussagen. Stilistisch erzählt Eschbach sehr bildhaft. Als Leser hat man stets eine sehr klare Vorstellung von den – im übrigens ausgezeichnet recherchierten – Örtlichkeiten, während die Handlung einen filmreifen Drive bekommt. Seine Protagonisten charakterisiert der Autor überwiegend durch die Verwendung innerer Monologe. Diese wirken am Anfang des Buches noch etwas hölzern, werden mit dem Fortgang der Handlung aber spürbar lebendiger und flüssiger. Die Schlüsse, welche die Hauptpersonen ziehen, werden für den Leser schließlich so einleuchtend, als wären ihm die Ideen selbst gekommen. Hierzu bedient sich der Autor eines Kunstgriffes: Er führt den deutschen SF-Autor Peter Eisenhardt in die Handlung ein. Dessen Aufgabe im Forscherteam ist es, über die jeweiligen Erkenntnisse nachzudenken und innovative Ideen einzubringen. Daß Eschbach den Rezipienten dadaurch das eine oder andere Mal auf eine falsche Fährte führt, gehört zum großen Spaß, den dieses Buch macht. Gleichwohl bleibt Eisenhardt ein relativ blasser Charakter, zumal er nur zu wenigen Gelegenheiten wirklich Eigeninitiative entwickelt.
Immerhin nutzt Eschbach die Gelegenheit, auf bekannte Zeitreisegeschichten hinzuweisen. Sein Buch steht in einer langen Tradition von Michael Moorcock bis hin zum „Jesus-Papier“ von Robert Ludlum. Gleichwohl hat der Stuttgarter einen verblüffenden, neuen Kniff für seine Erzählung gefunden. Besonders gefallen hat mir, wie es dem Autor gelingt, die phantastischen Elemente in der von Wissenschaft, Realität und Logik geprägten Geschichte unterzubringen.
Der Medienzar Kaun wird vom Autor nicht, wie man erwarten könnte, zum »Bösen« hochstilisiert. Kaun macht eher den Eindruck des energischen, aber gleichwohl »guten Onkels« – ähnlich wie John Hammond in »Jurassic Park«. Kauns Sicherheitsberater entspricht dann jedoch dem Hollywoodklischee des wortkargen Revolvermannes: intelligent, ergeben und bösartig. Den positiven Gesamteindruck können diese Details jedoch nicht trüben.
»Jesus Video« ist ein, in jedem Sinne des Wortes, phantastischer Roman: hintergründig, mitreißend und anspruchsvoll.
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