Originaltitel: »Accelerando« (2005)
Roman, Heyne-Verlag
Übersetzung aus dem Englischen: Usch Kiausch
ISBN 3-43-52195-1, 560 Seiten, 8,95 €
»Accelerando« ist nach »Singularität« und »Supernova« der dritte und anspruchsvollste Roman des britischen Autors Charles Stross. Das Buch wurde mittlerweile mit dem LOCUS-Award ausgezeichnet und das englische Original konnte eine Zeitlang kostenlos als e-text runtergeladen werden – eine einmalige Aktion, durch die Stross bei seinen Fans sicher einige Sympathiepunkte eingestrichen hat. Das Bemerkenswerte an dem Roman ist allerdings dessen ungeheure Informationsdichte, in der so ziemlich alles, was die gegenwärtige Wissenschafts-Pop-Kultur-Philosophie hergibt, hineingesteckt wurde. Der Text ist mit Anspielungen überfrachtet, die teilweise nur Dank des Glossars des Übersetzers verständlich sind, ohne daß die Lesbarkeit dabei Schaden genommen hat. Eine erstaunliche Leistung, die man durchaus mit den frühen Arbeiten William Gibsons vergleichen kann, obwohl die Welt des Cyberpunk im Vergleich zu derjenigen in »Accelerando« so antiquiert ist, wie die Steinzeit im Vergleich zur Gegenwart.
Der Roman beschreibt nichts weniger als die Zukunft der Menschheit von den ersten Experimenten mit künstlicher Intelligenz und der Möglichkeit, Bewußtsein unabhängig von materieller Existenz zu speichern bzw. runterzuladen, bis hin zu einer posthumanen Zivilisation, die das Sonnensystem in einen gewaltigen Informationsspeicher umgewandelt hat und nur noch in virtuell erschaffenen Lebenswelten existiert. Erzählt wird diese Zukunftsvision im Rahmen der Erlebnisse dreier Generationen einer Familie, wodurch die manchmal kaum begreiflichen Visionen des Autors erst nachvollziehbar und glaubhaft werden: Manfred Macx ist ein Freiberufler der nahen Zukunft, der ständig mit den Informationen des Internet verbunden und ohne diese gar nicht lebensfähig ist. Er verhilft einigen frühen KIs, die auf den neuronalen Netzen von Hummern basieren, zur Autonomie und schickt sie in einem Miniaturraumschiff zu einer Quelle außerirdischer Botschaften. Seine Tochter Amber hat bereits die Möglichkeit, ihr Bewußtsein auf Speichermedien herunterzuladen und so verschiedene parallele Leben zu führen. Eine dieser Persönlichkeiten schließt sich einer Weltraumexpedition an, während eine andere auf der Erde eine Familie gründet. Die nachfolgende Generation beginnt damit, sich komplett in virtuelle Welten zurückzuziehen, in der prinzipiell jeder, der je gelebt hat, als KI rekonstruiert werden kann.
Wie die oberflächliche Inhaltsangabe zeigt, ist das Buch wahrhaftig keine leichte Kost. Wunderbar ist dabei, daß man es trotz der reichlich abgehobenen Ideen und der extrem beschleunigten und mit Anspielungen und Informationen gespickten Sprache, leicht lesen kann. Die Spannung beruht dabei nicht nur – wie in den früheren Romanen des Autors – auf den phantastischen Einfällen, sondern auch auf den lebhaft geschilderten Charakteren, die innerhalb der extremsten und eigentlich vollkommen unmenschlichen oder eher nicht-menschlichen Bedingungen menschliche Züge bewahren und sich mit altbekannten Familien- und Beziehungsproblemen herumschlagen müssen.
Fazit: einer der originellsten SF-Romane der Zeit – Pflichtlektüre! – und ein großes Lob an die Übersetzerin Usch Kiausch, die diesen auch sprachlich außergewöhnlichen Roman vorbildlich gemeistert hat.