Der erste Artronaut – ein Interview mit Charles Wilp

Charles Wilp war Ehrengast auf dem PERRY RHODAN WELTCON 2000. Er versucht mit seinen Werken, Kunst und Weltraumfahrt in Einklang zu bringen – und er ist dabei nicht nur ein Visionär, sondern auch ein Pionier. Weltraumgeschichte schrieb er in den neunziger Jahren mit seinem ersten Kunsttransport ins All und seinen Bildplattenexperimenten, die die Astronauten an Bord des Space Shuttle Columbia durchführten.

Charles Wilp ist ein ungeheuer vielfältiger Mann: Das Fotografieren hat er von Man Ray gelernt . Er arbeitete mit Künstlern wie Joseph Beuys und Andy Warhol zusammen und schuf als Marketingmann so weltbekannte Werbekampagnen wie die von Afri-Cola oder den »Er läuft und läuft…«-Slogan von VW. Die Kanzlerköpfe der letzten 40 Jahre im Bundeskanzleramt stammen von ihm.
Dabei war er ursprünglich Musiker: Seine Platte »Charles Wilp fotografiert Bunny« von 1966 wurde 1999 als CD wiederveröffentlicht.
1995 wurde er als erster Künstler in der Schwerelosigkeit tätig, als er mit einer Astronauten-Trainingsmaschine der ESA Null-G-Flüge unternahm. Der Rausch der Schwerelosigkeit hat ihn seitdem gepackt: Nach unermüdlichem Training steht er bei der NASA und ESA auf der Warteliste für Weltraumflüge weit vorn – und vielleicht wird er schon Ende des Jahres 2000 ins den Orbit reisen.
Denn er sagt: »Schwerelosigkeit ist die Triebfeder aller Kreativität.«

Sie haben eine Ausbildung als Astronaut gemacht. Wie kam es dazu?

  Charles Wilp, (c) SF-Fan.de 

Charles Wilp als Ehrengast des PERRY RHODAN-WeltCons 1999 in Mainz
 

Wilp: Ich bin der erste Artronaut bei der NASA. Und dieser Begriff entstand bei einem Treffen mit dem deutschen Wissenschaftsastronauten Dr. Reinhard Furrer, der zu mir sagte: »Sag‘ nur nicht, daß Du Künstler bist. Künstler schneiden sich die Ohren ab oder springen aus dem Fenster. Das ist die Vorstellung der NASA von der europäischen Kultur.«
»Also sag‘, was bin ich denn?«
»Sag Du bist ein Artronaut, der erste Artronaut einer großen Kulturnation.«
Ich fragte: »Ja, was ist das denn?«
»Nun,  das wirst Du auf den Sheets sehen, da bist Du nämlich der Einzige.«
Also Reinhard Furrer ist der Vater des Gedankens und auch der Erfinder des Begriffs. Er hat ihn in den Raum gestellt hat, und das war schon eine künstlerische Handlung.

Natürlich mußte ich mich den Regeln der Weltraumbehörden stellen. Ich habe es auch unter 2000 Bewerbern auf Platz 64 geschafft, aber von dort es zunächst unmöglich weiter nach vorn zu kommen. Dann fiel ein Wissenschaftler, ein sogenannter Principal Investigator, der da oben Ratten füttern mußte, aus, und ich hatte die »Flugkammertauglichkeit Klasse 3 uneingeschränkt« parat und konnte innerhalb von 12 Tagen einspringen. Das war meine Chance. Ich konnte als Proband zur Erforschung der Weltraumkrankheit mitmachen. Nicht als Künstler, auch nicht als Artronaut, aber ich konnte mich nützlich machen, Ratten für die Krebsversuche zu füttern, ich konnte als Verbindungsmann eingeschleust werden, um die Dinge zu machen, für die die Astronauten keine Zeit hatten. Und so bin ich als erster Artronaut von Platz 64 auf Platz 02 gekommen. So ist das bei mir, und das ist bis heute so geblieben. Und der 25. April 1995 war mein erster Tag in der Schwerelosgkeit und der letzte Tage in der alten Zeit.

Was war das dann für ein Gefühl?

Das Gefühl kann man mit Worten natürlich nicht schildern. Aber ich kann Ihnen eine beispielhafte Geschichte erzählen: Ich war bei Stanley Kubrick, habe meist den Mund gehalten, ihm seine Filmdosen geschleppt und mir das Filmen bei Kubrick beigebracht. Und eines Tages, als »2001« fertig war, sagte ich: »Stanley, sag‘ mal, warum hast du diesen verkitschten Walzer unter dein 2001 gelegt?« Es gab ja eine andere Musik. »Warum diesen Donauwalzer?« und daraufhin antwortete er mir, dies sei der schwereloseste Tanz überhaupt. Das habe ich lange Zeit überhaupt nicht verstanden, aber als ich selbst in die Schwerelosigkeit ging, tanzte plötzlich der Kommandant mit der Bordärztin Walzer, und da habe ich vor Augen gehabt, was Schwerelosigkeit ist. Mit der Identität eines normalen Vorgangs. Und das sehe ich auch heute bei Techno: Wenn die jungen Leute abtanzen, kommen sie auch in die Schwerelosigkeit.
Und ich bin seit Afri-Cola abgehoben, so daß das für mich kein Problem mehr war. Es war für mich auch ein ganz wichtiges Kapital, daß ich durch meine Afri-Cola Spots gezeigt hatte, daß ich in in 30 Sekunden etwas leisten konnte. Die Schwerelosigkeit bei einem Parabolflug dauert ja auch 30 bis 40 Sekunden, in denen ich etwas etwas leisten muß. Ich habe in diesem Zeitraum optisch ganze Kriminalromane erzählt, so daß 30 Sekunden für mich jetzt wie eine endlose Welt beim Arbeiten ist. Es ist also alles Training.

Artro, (c) SF-Fan.de

Welchen Hintergrund hat die Skulptur, die Sie auf dem Weltcon zeigen?

Sie besteht aus Teilen der ersten ARIANE V Rakete. Die ist 30 Sekunden nach dem Start explodiert und dann hingen da 11 Milliarden US-Dollar in den krokodilverseuchten Sümpfen Guyanas. Da ich vor drei Jahren schon für die ESA arbeitete, hatte ich die Möglichkeit mit den Wissenschaftlern diese Trümmer vom hochgiftigen Hydrazin zu säubern. Als untersucht war, warum die ARIANE V explodiert war, lagen da diese schönen Teile, und als ESA-Mitarbeiter hatte ich die Möglichkeit die alle zu bekommen. Und so ist das über diesen langen, langen Umweg zu mir gekommen.
Bei Temperaturen vom 4000 ºC bei der Explosion und im freien Fall ist sie sicher schwerelos gewesen, als da diese auf dem Kunstwerk sichtbare neue Farbenskala entstand.

Ich habe in meiner Akademiezeit nachts in den Instituten für 20 DM Ratten gefüttert, habe also mein Geld nicht mit Tellerwaschen verdient, sondern habe mich schon in Hinblick auf meine Zukunft nützlich gemacht. Dazu kamen dann all diese Dinge, die damals in den Augen der Menschheit völlige Spinnerei waren: Bioklimatik, Biofeedback, Tiefschlaf, Traum- und Schlafforschung und so weiter.
Ich hätte nie die Möglichkeit gehabt Space Art zu machen, wenn ich nicht die Möglichkeit zum Erleben der Schwerelosigkeit gehabt hätte. Aber man muß sich nützlich machen.
Ich habe Ratten gefüttert, um den Astronauten die Arbeit abzunehmen, ich bin eingebunden in die Versuche zur Erforschung der Raumkrankheit, das heißt in die Versuche zur Erforschung des Brechreizes. Ich habe vier Wochen lang faule Frühstückseier gegessen. Man muß die morgens um 6 Uhr essen, vor den Augen von fröhlichen Bordärztinnen, die nur darauf warten, daß eben alles wieder rauskommt. Und wenn einem dabei nicht schlecht wird, dann ist man dabei. Und das habe ich auch Dr. Furrer zu verdanken, der zu mir sagte: »Die Eier mußt Du essen, du kommst um den Test nicht umhin. Da sind bislang alle dran gescheitert. Du mußt mindestens eine Woche lang trainieren, daß dir faule Eier morgens um 6 Uhr nichts ausmachen.«
Es ist ja so, in der Weltraumfahrt freuen sie sich über Leute, die die Tests nicht bestehen: Von 2000 Leuten müssen 1896 ausgemustert werden, die müssen weg, und das kann man nur mit faulen Eiern machen, bei faulen Eiern versagen sie alle. Aber ich habe dieses wunderbare Training von meinen Astronautenfreunden gehabt. So etwas lehrt  man an keiner Universität, wie erst wieder bei einem Workshops in der Space-University in Straßfurt erleben konnte. Und das sollen die auch nicht lernen, denen soll schlecht werden, damit sie aussortiert werden. Raus damit, gekotzt und raus. Wenn aber jemand kommt, der das nicht tut, wie ich, dann ist man einen Schritt weiter.

Was bedeutet Space-Art? Bunte Ringplaneten vor einem glitzernden Sternenhintergrund?

Das ist keine Space-Art, das ist Scharlatanerie! Die Scharlatanerie sehe ich ja auch als legales Mittel um die Menschen zu verdummen. Aber wenn ich von Space-Art spreche, dann meine ich die Dinge, welche die Menschen auch erleben um einen Schritt weiterzukommen. Meine Space-Art besteht nicht darin Perry Rhodan über den Wolken zu zeigen, sondern Perry Rhodan zum Leben zu bringen um diesen weiten Weltenraum in den Griff zu bekommen. Denn der Mensch lebt von der Phantasie. Und wer keine Phantasie hat, der braucht den Beistand Gottes, und wenn der Gott nicht greifbar ist, dann muß man einen Gott bilden. Und so sehe ich jetzt Perry Rhodan, eingebettet in eine Kunst, die ich nicht mehr Kunst, sondern »Artro« nenne. Die soll bewußt machen, daß der weite Kosmos, der Weltraum, keine Kunst nötig hat.

Der Kosmos ist sich also selbst genug?

Ja, er ist sich selbst über Millionen von Lichtjahren genug. Da brauchen wir uns nicht darum sorgen, daß uns der Begriff Artro ausgeht.  Und durch die wunderbaren Geräte wie zum Beispiel das Hubble-Teleskop kommen Eindrücke, die wir auf Erden gar nicht ersinnen können. Aber zur Space-Art gehört mehr: Ich fliege beispielsweise als Artronaut. Das sind Menschen, die an Bord eines Raumschiffs sind, um den Astronauten und Kosmonauten zu helfen, Dinge zu tun, für die sie keine Zeit haben. Also am Fenster zu sitzen und nachzudenken und neue Impressionen zu schildern, sei es in der philosophischen oder gestalterischen Art. Das ist Space-Art.

Also der künstlerische Zugang zur Raumfahrt?

Da fängt der Selbstbetrug an. Goethe spricht nicht von Kunst, Goethe spricht von Lyrik, von Theater und Musik, Tanz. Zum Begriff Kunst hat er gesagt: »Und willst Du mich mit einem Kunstbetrug betrügen?« Bienenhonig war auch auch schon immer besser als Kunsthonig. Und Beuys hat das weitergeführt – ich bin ja ein Weggefährte von Beuys, wir haben bis zuletzt im selben Atelier gearbeitet, und da war es einfach der pure Gedanke, den der Beuys in den Raum gesetzt. Nicht der Hering neben der Luftpumpe, oder sein Filzhut, oder sein Filzanzug. Das war alles nur Werbung, Reklame für Beuys. Er hat diese Dinge ganz bewußt gemacht hat, um die Menschen da hin zu führen. Das pure Kunstwerk von Beuys war der reine Gedanke, den er in den Raum gesetzt hat. Und der lebt und befruchtet die Menschheit.

Wir sind am Zeitpunkt angelangt, an dem die klassische Interpretation in der Kunstgeschichte nicht mehr sagt: »Kunst ist gleich Kult und Macht.« Kult ist dabei das Seelenvolle, das Schöne, und Macht stellt das Häßliche dar. Dem gegenüber stelle ich die neue Interpretation von Kunst, nämlich Artro. Die besagt, daß Schwerelosigkeit die Triebfeder und die Kraft alles Kreativen ist. Und mit Beginn des Jahres 2000 sind wir an dem Moment angekommen, an dem diese Kraft die Menschen in der Kreativität beflügelt. Die Leute sind nicht mehr auf bestimmte schöne Künste oder Bildhauerei oder etwas in der Art begrenzt. Es gibt 6 Milliarden kreative Menschen auf der Erde, die alle hoch individuell kreativ sind und alle ihre Kreativität umsetzen können.

Das bedeutet, daß wir uns von der Kunst im Museum abwenden?

Alle fünfhundert Jahre wird die Kunst auf ihre Kunstwürdigkeit überprüft und im Notfalle in der rosaroten Tonne entsorgt. In Den Haag sind gerade fünftausend Kunstwerke geschreddert worden. Die waren vom holländischen Staat hochsubventioniert, aber niemand wollte sie haben. Weil die Kosten für die Unterbringung nicht mehr gedeckt waren, hat man sie weggeworfen. Das ist unsere Situation.

Das bedeutet doch auch, daß Kunst altert?

Meine Kunstgeschichte fängt bei den Griechen an, die das Relief erfunden haben um den Menschen schwerelos abzubilden. Dann kam Michelangelo, der, auf dem Rücken liegend, die sixtinische Kapelle ausgemalt hat und dadurch das Fresko erfunden hat. Er hat die Farben in den feuchten Putz hineinfließen lassen, hat gar nicht kontrolliert, wo das hinfloß, aber er hat damit seine mentale Schwerelosigkeit übersetzen können – nicht die körperliche, denn die haben wir ja erst seit Gagarin.
Erst seitdem haben wir die Möglichkeit, die Schwerelosigkeit, den Grundstock alles Kreativen, nicht nur mental zu erleben, sondern auch ganzkörperlich. Das Leben auf Kolonien im All ist pures Artro. Das echte Gehirn ist entscheidend und das echte ist im Kosmos: Das ist durch nichts zu ersetzen, nicht durch Attrappen, nicht durch Verblendung.

Aber die Kunstgeschichte ist ja heute so weit, daß sie eine Kooperation, oder wie man in der Politik sagt, eine Koalition eingeht: Lieber Kunst mit Kitsch, als Kunst mit Werbung, oder Kunst mit Reklame.

Aber ihre Kampagnen werden ja mittlerweile als Kunst verstanden…

Ja, aber das hätte man damals schon so sehen müssen. Nicht heute. Heute ist der Kunstbegriff verbraucht. Das ist zu spät. Wer zu spät kommt, der wird bestraft. Und die Kunstkuratoren sollten nicht mehr den Museumsshop mit Hosenträgern oder Hüten von Joseph Beuys oder Andy Warhols Unterhosen bieten. Sie müssen vielmehr dafür sorgen, daß genügend Cola und Popcorn da sind. Und wenn es nötig ist, müßten sie noch einen Waschsalon anschließen, damit die Menschen überhaupt noch ins Museum kommen.
Also für mich basiert die Kunstgeschichte auf den alten Griechen, dann Michelangelo, die sixtinische Kapelle, dann der Erfindung der Fotografie, Beuys, und dann ist Schluß. Und jetzt fangen wir im Jahr 2000 neu an.

Wie stehen Sie zur Science Fiction?

Der Mensch braucht schon Phantasie. Und wer keine Phantasie hat, braucht den Beistand Gottes. Aber den lieben Gott kann man nicht fassen, ich weiß nicht wo der ist. Da ist es schon besser, wenn man Perry Rhodan hat. Mit dem kann man sich identifizieren und seine Phantasie entwickeln, und so ist mein Verhältnis zu Perry Rhodan.
Abgesehen davon daß ich einer der bestbezahltesten Pflastermaler in Amsterdam war und mich nur mit Science Fiction Motiven über Wasser gehalten habe. Aber irgendwann habe ich damals statt Anilinfarben Acrylfarben genommen haben. Das war dann wie Graffiti auf dem Boden und ich wurde geächtet und kam auf die Fahndungsliste, weil das ganze nicht mehr durch den Regen weggespült wurde.

…weil es nicht mehr vergänglich war.

Genau das ist das! Ich hoffe daß dies alle richtig hören, weil das die Tips sind, die ich weitergebe. Und der V-Mann bin ich immer geblieben. Heute bin der versteckte V-Mann. Der versteckte Artronaut, der unter dem Deckmantel der Wissenschaft künstlerisch arbeitet.
Ich habe Artro – die Kunst und den Weltraum – in mir.

Geführt von Florian Breitsameter am 18. Dezember 1999, bearbeitet unter Mithilfe von Ulrich Bettermann


Hier die legendäre Afri-Cola-Werbung von Charles Wilp:

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