Gene Wolfe – Mythgarthr 1: Der Ritter

Der Ritter

Originaltitel: »The Knight. Book One of The Wizard Knight«
Übersetzt von Jürgen Langowski
Fantasy Roman, Klett-Cotta Verlag
ISBN 3-608-93775-7
Hardcover, 565 Seiten, 24,50 Euro

Gene Wolfe ist einer eigenwilligsten und originellsten Autoren der amerikanischen Phantastik. Seine Romane und Erzählungen haben einen ganz eigenen Stil und sind auch für anspruchsvolle Leser interessant, die ansonsten wenig mit den üblichen Klischees der Fantasy und ihrer ungezählten Tolkienimitatoren anfangen können. Sein überragender Zyklus »Das Buch der neuen Sonne« hat dem Genre neue qualitative Dimensionen eröffnet, und es ist vollkommen unverständlich, warum es von diesem Meisterwerk keine handliche Neuausgabe gibt (diese wurde lediglich angekündigt, bevor die Rechte dann von Heyne an Piper übergingen). Immerhin ist es eine schöne Überraschung, wenn nun der neueste Roman Wolfes dort erscheint, wo eigentlich sein Gesamtwerk hingehört – in der Fantasy-Reihe von Klett-Cotta, incl. Illustrationen und Lesebändchen.

»Der Ritter« beginnt wie ein klassischer Märchenroman: Ein Junge verirrt sich bei einem Spaziergang im Wald und findet sich in einer mittelalterlichen Welt voller seltsamer Wesen, skurriler Gestalten und Gefahren wieder. In einem langen Brief an seinen Bruder in Amerika schildert er seine Abenteuer und die Erkundung dieser phantastischen Welt, die eigentlich aus verschiedenen übereinanderliegenden Welten besteht, wobei die Zeit auf den jeweiligen Ebenen unterschiedlich verläuft. Nach einer erotischen Begegnung mit einer Waldnymphe ist der Junge plötzlich körperlich erwachsen. Er nennt sich Sir Able of the High Heart und hat nur ein Ziel: ein echter Ritter zu werden und seine ritterlichen Tugenden zu beweisen. Um dieses Ziel zu erreichen, muß er allerhand Prüfungen und Kämpfe bestehen.

Der Roman ist durchgehend aus der kindlichen Perspektive des Helden geschrieben, so daß man die Geschichte auch als Hirngespinst eines jungen modernen Don Quijote lesen kann, der, anstatt alte Ritterromane zu verschlingen, sich möglicherweise zu viele Fantasy-Schmöker reingezogen hat. Einige Andeutungen in den Träumen Sir Ables scheinen auf eine andere Realitätsebene zu weisen, in der ein kleiner Junge im Krankenhaus liegt und seine Abenteuer lediglich phantasiert… Vielleicht bringt der zweite Band (der im Herbst 2006 erscheinen wird) die Lösung? Die scheinbar naive Erzählperspektive macht auch den Reiz des Buches aus. Denn auf diese Weise wird die Phantasie des Lesers dazu herausgefordert, eigene Schlüsse zu ziehen und den manchmal rätselhaften Vorgängen selbst einen Sinn zu verleihen.

Fazit: ein sprachlich hervorragender und faszinierender Fantasyroman, voller Rätsel und mit viel schrulligem Humor, der auf die Fortsetzung neugierig macht.

Ein Kommentar

Kommentare sind geschlossen.