Peter F. Hamilton – Misspent Youth

Misspent Youth

Tor Books, TB
Titelbild von ?
Juli 2003, 6,99 £, 438 Seiten
Deutsche Ausgabe: »Der Dieb der Zeit«

Auf den ersten Blick scheint Peter F. Hamiltons neuer Roman »Misspent Youth« in eine gänzlich andere Richtung zu gehen, als man aufgrund seiner vorhergehenden, meist sehr umfangreichen Romane vermuten würde. Die Betonung liegt aber auf »auf den ersten Blick«, denn in einigen seiner Novellen (u.a. »Watching trees grow«), und auch in seiner umfangreichen Space Opera hat er sich mit dem Thema Jugend und der Einmaligkeit des Lebens auseinandergesetzt. Nutzte er in diesem Buch noch vordergründig die Weiten des Alls und eine Space Opera-Geschichte als äußeren Rahmen, so spielt dieses Buch auf der Erde 40 Jahre in der Zukunft und betrifft nur eine überschaubare Anzahl von Charakteren.

Mit den drei »Greg Mandel«-Romanen setzte sich Hamilton mit einem Großbritannien in der nahen Zukunft auseinander, das von einer kommunistischen Regierung abgewirtschaftet worden ist und in dem der psychisch begabte Detektiv Greg Mandel mit Hilfe fortschrittlicher Technik seine Fälle zu lösen suchte. Verband Hamilton hier Science Fiction noch mit den Detektiv-Romanen der vierziger Jahren zu einer lesenswerten Mischung, so setzte er mit seiner »Night’s Dawn Trilogie« neue Maßstäbe. Die Grundhandlung ist eine konventionelle Space Opera (die auch aus den vierziger Jahren, dem Golden Age der Science Fiction, stammen könnte), die durch unzählige Handlungsstränge und Figuren auf drei Romane mit jeweils mehr als 1000 Seiten aufgebläht worden ist. Es folgte noch das Handbuch für den interessierten Fan und eine Sammlung von Kurzgeschichten und Episoden, für die in den „dünnen“ Büchern kein Platz geblieben war. Außerdem erschienen bislang von Hamilton ein Jugendroman („Lightstorm“), diverse Kurzgeschichten und die Novelle »Watching trees grow«, die sich mit dem Thema Langlebigkeit auseinandersetzte. Mit dem folgenden (noch umfangreichen) Roman »Fallen Dragon« verband er seine Weltraumabenteuer mit den Inner Space-Ideen dieser Novelle.

In seinem neuen Buch „Misspent Youth“ setzt er sich wieder mit den politischen Realitäten (wie in den Mandel-Romanen), aber auch der Stellung des Menschen zu seiner Umwelt (wie in „Watching trees grow“) auseinander.

Die Geschichte beginnt mit den pubertären Schwierigkeiten Tim Bakers, einem Außenseiter in der Schule, der Kontaktschwierigkeiten mit dem anderen Geschlecht hat. Er ist kein schlechter Schüler, aber auch kein herausragend guter. Sein Vater Jeff Baker hat eine bahnbrechende Erfindung gemacht, die ihn eigentlich zum reichsten Menschen der Erde machen sollte. Aus einer Laune heraus (den wahren Grund erfährt der Leser erst später) hat er diese Erfindung der Menschheit geschenkt. Immer noch vermögend (aber nicht superreich) soll der achtzigjährige Jeff Baker einer Verjüngungskur unterzogen werden. Dieses Verfahren ist unwahrscheinlich teuer und zeitaufwendig (insgesamt 15 Monate dauert die Behandlung) und er ist der erste, der sich dem Verfahren unterwirft. Nach dieser Zeit kommt er wieder zu seiner Familie zurück, äußerlich vielleicht 25 Jahre alt, gut aussehend und bricht mit dem ganzen Medienrummel in die nicht heile Welt seiner Angetrauten ein. Seine Frau hatte ihn aus einer Laune heraus geheiratet, die Ehe wurde nie vollzogen und sie hat nun Angst, daß sie sich nicht mehr ihren diversen Liebhabern widmen kann. Für Tim – der nie einen richtigen Vater hatte, sondern nur ein Idol der Menschheit – bedeutet die Begegnung mit einem äußerlich nur wenig älteren, an sich vertrauten Menschen, eine weitere Kommunikationsschwierigkeit. Aber auch für Jeff stellt dieser Verjüngungsprozeß nicht nur eine zweite Chance dar. Schnell begreift er, daß er körperlich wieder zu vielen Dingen in der Lage ist, die er sich vorher nur noch in seinem Kopf vorstellen konnte: Sex (anfangs durch die Unterstützung von VIAGRA, da er die Kopfbarriere durchbrechen muß) mit einer oder auch mit zwei Frauen. Zu Beginn lebt er seine neu gewonnenen Triebe mit seiner eigenen Frau aus, die sich zu dem gutaussehenden Mann hingezogen fühlt (Jeff Baker ist perfekte Mischung aus geistiger Reife und körperlicher Frische), später aber dann mit der Freundin seines Sohns, die sich in ihn verliebt und mit ihm zusammen leben möchte, und schließlich auch noch mit deren Freundin. Der Höhepunkt der Ereignisse ist der entflammte Kinderwunsch Jeff Bakers.

Viele Leser werden das Buch enttäuscht zuklappen. Es ist ein anderer Peter F. Hamilton, der den Leser erwartet.

Jeff Baker agiert wie ein mit Hormonen zugestopfter Dorian Gray, der selbst überrascht mit großen Kinderaugen die Welt neu entdeckt. Im ersten Teil des Buchs erlebt der Betrachter einen klassischen Vater-Sohn Konflikt. Beide sind auf der Jagd nach dem weiblichen Geschlecht und scheuen sich nicht, auf Blutsverwandte keine Rücksicht zu nehmen. Ihre schlechtesten Charakterzüge kommen offen zum Tragen (dabei ist Frau Baker auch nicht die Unschuld vom Lande; es ist die Dystopie einer glücklichen Familie, eher bei den Soap Operas des Nachmittagsprogramms angesiedelt). Hamiltons Stärke in diesen Passagen liegt in der natürlichen und flüssigen Beschreibung dieser Konflikte. Dabei schreckt er nicht davor zurück, anfänglich sympathische Charaktere umzudrehen. In seinem letzten Buch „Fallen Dragon“ schenkte er seinem im Kern unsympathischen Protagonisten eine zweite Chance, hier müssen sich die Charaktere ihre „Ziele“ und „Wünsche“ in diesem Lebensabschnitt hart und mit vollem Köpereinsatz erarbeiten. Sehr gut sind die Handlungsabschnitten, in denen er mit viel feinem Humor und genauer Charakterzeichnung die einzelnen Beziehungen der Menschen untereinander demontiert und ihr Netz aus Lügen und Versteckspielen offenlegt.

Leider hält Hamilton dieses Tempo nicht durch. Der Mittelteil ist mehr eine männliche Fantasy, denn eine echte Geschichte. Tim befriedigt sich bei verschiedenen Frauen, aber immer im Herzen bei der einen, die ihn zu Gunsten seines Vaters verlassen hat. Der liebt (körperlich sehr jung, geistig ein bisschen verdreht) diese wunderschöne, intelligente, junge Frau, die sich von der jugendlichen Kraft und der geistigen Erfahrung (das bezieht sich auf das Bett) hingezogen fühlt. Natürlich hat sie Verständnis, daß der junge, alte Bock sich auch die Freundinnen vornimmt und innerhalb von 24 Stunden so insgesamt drei Frauen beglückt. Der Kommentar hierzu ist die Einnahme von zwei Viagra-Tabletten vor der dritten Frau, der eigentlichen Freundin. Phasenweise wirkt das wie eine Playboy-Geschichte und wenn es anfänglich witzig ist, so verliert dieser Abschnitt deutlich an Reiz. Einen anderen Konflikt zwischen Jung und Alt reißt Hamilton nur kurz an. Die Unterschiede zwischen dem Freundeskreis und Jeff Baker werden nur schemenhaft beleuchtet, ein möglicher Konflikt zwischen dem hochintelligenten Jeff Baker (mit vielleicht jugendlichen Ansichten zu seinen Forschungen und Entwicklungen) und der Fakultät, die ihn jahrelang umgeben hat, findet nicht statt. Um diese Flanke kümmert sich Hamilton nur in soweit, daß der Prometheus ein Medienobjekt geworden ist, das man herumreicht, interviewt, beobachtet und in den Mittelpunkt einer neidvollen Gesellschaft stellt. Schon von Beginn an wird deutlich gemacht, daß der Prozeß zu teuer für alle Menschen ist und einzelne Gruppen suchen schon nach Selektionskriterien für den nächsten freiwilligen Ausgewählten. Sein vereintes Europa ist nur ein Spiegelbild der heutigen Welt. Die Politiker streiten, die einzelnen nationalen Unterschiede kommen deutlich zu Tage und der wissenschaftliche Fortschritt erscheint eher ein Zufallsprodukt denn gezielte Entwicklung.

Aber für ein Leben mit Drogen, Sex und Alkohol muß ein Preis bezahlt werden. Diese tragischen Ereignisse beschreibt Hamilton im dunklen, letzten Abschnitt des Buches (wie eine Entschuldigung, daß ein freizügiges Leben so nicht stattfinden kann und darf). Hier konzentriert er sich wieder auf seine Charaktere und fängt die Leser wieder ein. Während der Mittelteil (trotz des geringen Buchumfangs – im Vergleich zu seinen anderen Büchern) deutliche Schleifspuren hinterläßt, geht es hier zu schnell zu Ende. Hier lernen sie, den Unterschied zwischen schnellem, heißen Sex und wahrer Liebe und Gefühle. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Vater-Sohn Gefühle oder das Empfinden zu einem gleichgestellten Partner handelt. Alle besinnen sich hier -nach den sexuell getriebenen Monaten oder Jahren – auf die eigentliche Stärke eines Familienverbundes und sehen der unsicheren Zukunft entschlossener entgegen. Genau wie die zweite Jugend eine Farce ist, entpuppt sich der technologische Fortschritt als Illusion. Jeff Baker verschwendet seine Jugend zweimal. Im ersten Leben hetzt er seinen Forschungen und Entwicklungen hinterher, bei der zweiten Chance den Weiberröcken. Einen Ausgleich in sich selbst findet er nicht.

Peter F. Hamilton hat ein anderes Buch als sonst geschrieben. Es ist nicht gänzlich perfekt (dafür bleiben zu viele Fäden in der Luft hängen, vielleicht ist das auch seine Absicht, um den Lesern zum Nachdenken zu animieren), aber spannend, erotisch (mit einem Schuß Pornographie), und er konzentriert das Testosteron seiner Raumabenteuer direkt in das kleine Familienidyll einer ungewöhnlichen Gemeinschaft. Dabei schreckt er nicht davor zurück, seine Figuren in und durch den Dreck zu ziehen. Herausgekommen ist ein Buch, über dessen Grundidee diskutiert werden kann. Vielleicht hat Hamilton auch nur den Mut und die Ehrlichkeit, die verklemmten Wünsche einer ganzen Generation auszusprechen.

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