»We are the next stage of human evolution« verkündet Erik Lehnsherr alias Magneto seinem neuen Freund Charles Francis Xavier in X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG. Ob der fünfte Teil der Reihe und mittlerweile siebte Teil im Franchise, lose basierend auf dem gleichnamigen Comic, eine filmische Evolution ist, hat sich SF-Fan.de näher angesehen.
Man könnte zu Beginn durchaus skeptisch sein, denn die Vereinigung aus alter und neuer Garde muss nicht zwangsläufig funktionieren, wie man in STAR TREK: TREFFEN DER GENERATIONEN sehen konnte. Wenn dann noch Professor X, der im dritten Teil das Zeitliche segnet, plötzlich wieder mit von der Partie ist und das Ganze mit einem Zeitreiseplot kombiniert wird, beginnt das Fanherz trotz Regisseur Bryan Singer, der bereits für X-MEN und X2 verantwortlich war, etwas unruhig zu werden.
Irgendwann im Jahr 2023 haben sich die letzten Mutanten in einem fernen Gebirgstempel verschanzt. Die Menschheit hat ihren mutierten Brüdern und Schwestern letztendlich doch den Krieg erklärt und ist dabei, diesen mit Hilfe von adaptiven Kampfrobotern, den sogenannten Sentinels (Gort lässt grüßen), zu gewinnen. Das Team um Professor X versucht nun Wolverine bzw. dessen Bewusstsein in die Vergangenheit zu versetzen, um die Zeitlinie zu manipulieren und die Entstehung des in den 1970er Jahren initiierten Sentinel-Programms zu verhindern.
Wir treffen im Laufe des Films auf viele Altbekannte und einige neue Gesichter, aber Singer fokussiert sich (mit der Ausnahme von Quicksilver) auf die junge Garde und Wolverine, die zwei Drittel der Leinwandpräsenz für sich in Anspruch nehmen. Trotzdem ist das Auftreten der alten Liga plausibel und nicht nur schmückendes Beiwerk.
Jennifer Lawrence, die schon im Vorgängerfilm positiv auffiel, ist mittlerweile in Hollywoods A-Liga (inklusive Oscar für die beste Hauptdarstellerin) angekommen, genauso wie Kollege Michael Fassbender, der grundsätzlich in jedem Film, egal ob Arthouse oder Blockbuster, eine gute Figur macht. Beide zeigen wunderbar die Ambivalenz und Veränderungen, die diese Charaktere vollzogen haben und speziell Raven/Mystique ist entschlossener und wesentlich abgeklärter als im Vorgängerfilm. Magneto macht dort weiter, wo er in X-MEN: ERSTE ENTSCHEIDUNG aufgehört hat. Härter und noch mehr von seinem Vorgehen überzeugt, schafft es Fassbender mit subtiler Mimik den Zuschauer über Magnetos wechselnde Loyalitäten und Ziele im Unklaren zu lassen.
James McAvoy alias Charles Xavier hat sich vom englischen 60er Jahre Vorzeigedandy zu einem versifften 70er Jahre Säufer entwickelt, dem die Zukunft der Mutanten (und Menschen) ziemlich egal ist und weit von der Souveränität des alten Professor X entfernt ist. Hugh Jackman, der Wolverine in den letzten 14 Jahren bereits das siebte Mal verkörpert, bleibt diesem Charakter treu und zeigt uns einen Krieger, der endlich seinen inneren Frieden gefunden hat.
Herausragend ist Peter Dinklage als Dr. Bolivar Trask, der kein Bösewicht im eigentlichen Sinne ist, sondern tatsächlich daran glaubt, dass die Mutanten eine Gefahr für die menschliche Spezies darstellen und sein Abwehrsystem für einen Segen hält. Dass er dafür zwielichtige Forschungsmethoden anwendet und ethische Grenzen weit überschreitet ist für ihn zweitrangig.
X-Men-Urgesteine Patrick Stewart und Ian McKellen werden diesmal nicht viel gefordert und liefern eine routinierte, souveräne Leistung ab und Halle Berry ist zwar mit an Bord, wurde aber leider nur mit wenig Leinwandzeit bedacht.
Wie der Name schon andeutet, findet dieser X-Men Film auf zwei Zeitebenen statt. Die Zukunft ist eine düstere, offenbar völlig zerstörte Welt, die in manchen Passagen an die Terminator-Reihe erinnert. Die Städte sind verlassen und es wird leider nicht eindeutig klar, was mit den Menschen passiert ist. Leben diese noch, haben sich die Sentinels auch gegen sie gerichtet?
Zweiter Schauplatz sind nach den Swinging Sixities aus ERSTE ENTSCHEIDUNG, die wilden psychedelischen 70er Jahre. Hier treffen wir auf Lavalampen, Afro-Hairstyle, den Vietnamkrieg und Zigarettenwerbung. Die Designabteilung hat es geschafft, ein glaubwürdiges 70er Jahre Ambiente zu schaffen, dass für manchen Lacher beim Publikum sorgen wird.
X-MEN wurde in 3D gedreht und im Gegensatz zu vielen anderen Blockbustern nicht in der Postproduktion konvertiert. Das hatte zwar höhere Kosten zur Folge, das Ergebnis ist das allemal wert, da hier ein überzeugender Tiefeneffekt erreicht wurde und ein echter 3D Mehrwert vorhanden ist, ohne dabei auf die Popout-Keule zu setzen.
Bryan Singer liefert mit X-MEN: ZUKUNFT IST VERGANGENHEIT möglicherweise genau das, was Fans bei THE WOLVERINE, der mehr ein (cooler) Martial-Arts Film als ein Superheldendrama war, vermisst haben. Er zeigt beeindruckende Mutanten Action, die alles austeilt was die FX-Maschinerie derzeit hergibt, kombiniert mit einer fesselnden Geschichte, die neben dem Drama noch genug Platz für einige Gags und pointierten Humor lässt. Einige offene Fragen und kleinere Drehbuchschwächen mag man verzeihen, diese stören nicht weiter den positiven Gesamteindruck.
Die Regisseure – und das ist generell die Stärke der X-MEN Reihe – haben sich nie alleinig auf Action und Effekte zu verlassen, sondern immer ebenbürtige Charaktere mit Profil und Tiefe geschaffen, die beim Zuseher Emotion und Identifikation ermöglichen. Singer hat nicht den Kern der Geschichte vergessen, der im Wesentlichen von Diskriminierung, Anderssein, Ausgrenzung und die Abgründe der menschlichen Seele, aber auch von deren Überwindung handelt.
Fans werden vermutlich wieder endlos diskutieren welcher Film nun der All Time Favourite ist, aber dieser neue X-Men gehört ganz klar zu den besten im Franchise. Wenn man das berücksichtigt, wie auch die Tatsache, dass die Darsteller aus ERSTE ENTSCHEIDUNG mittlerweile etablierte Charaktere sind und es am Startwochenende keine ernstzunehmende Konkurrenz gibt, ist es ganz klar, dass X-MEN: ZUKUNFT IST VERGANGENHEIT am Startwochenende Platz eins der Kinocharts in Deutschland und Österreich belegen wird. Darüber hinaus wird er auch deutlich seinen Vorgänger übertreffen, der von allen X-Men Filmen das schlechteste Startwochenende hatte, was auch daran lag, dass die neuen Charakter den meisten Kinobesuchern noch unbekannt waren und der Film damals mit HANGOVER 2 in der 2. Woche und FLUCH DER KARIBIK in der 4. Woche einer extrem harten und erfolgreichen Konkurrenz ausgesetzt war.
PS: Nachspann abwarten!
Max Krausmann
Kritik von Florian Breitsameter
»X-Men: Zukunft ist Vergangenheit« (2014) ist pure Science-Fiction, denn zwei X-MEN-Teams kämpfen hier auf zwei Zeitebenen ums Überleben der Mutanten. Die beliebten Charaktere der originären X-MEN-Trilogie (»X-Men«, »X-Men 2«, »X-Men 3 – The Last Stand«) verbinden sich mit ihren jüngeren Ichs aus dem Prequel »X-Men: First Class« (dt. Titel »X-Men: Erste Entscheidung«) für einen alles entscheidenden Kampf, der die Vergangenheit verändern muss – um unsere Zukunft zu retten. Soweit, so gut.
Mit »X-Men: Days of Future Past« kehrt Bryan Singer als Regisseur zu den Mutanten zurück. Mit dem ersten X-Men-Kinofilm gelang ihm im Jahr 2000 die erste kommerziell richtig erfolgreiche Marvel-Verfilmung, und mit »X-Men 2« setze er die Reihe ebenso erfolgreich fort. Und eigentlich hätte Bryan Singer auch beim dritten und wahrscheinlich letzten »großen« X-Men-Kinofilm Regie führen sollen, doch als er von Warner die Chance bekam, die Produktion von »Superman Returns« zu übernehmen, schlug er zu und nahm das Angebot den »Mann aus Stahl« wieder zurück auf die Leinwand zu bringen an. Die erste Wahl war damals Matthew Vaughn, doch er zog sich dann auch überraschend aus dem Projekt »X-Men 3« zurück und Brett Ratner (»Rush Hour«, »Red Dragon«) übernahm die Regie. Mit »X-Men: First Class« (dt: »X-Men: Erste Entscheidung«) kam Matthew Vaughn dann aber doch noch zum Zug und lieferte ein wunderbares Prequel zur bisherigen Trilogie ab.
»X-Men: Days of Future Past« ist nun einerseits eine Fortsetzung des Prequels, aber auch eine Fortführung der ersten Trilogie. Die Chance dafür bot die aus den Comics bekannte Storyline »Days of Future Past« (The Uncanny X-Men #141-142, erschienen im Jahr 1981), in der sogenannte Sentinels alle Mutanten in der Zukunft internieren. Im Film ist es Kitty Pride (Ellen Page), die nun Wolverines Geist in die Vergangenheit – genauer gesagt die 1970er Jahre – zurückschickt, da er so verhindern soll, dass die Sentinels jemals gebaut werden. Eine Aufgabe, die auch für Wolverine nicht so leicht zu lösen ist und für die er starke Verbündete in der Vergangenheit braucht…
»X-Men: Zukunft ist Vergangenheit« | »X-Men: Days Of Future Past« ist zu Beginn randvoll gepackt mit Handlung, so dass Langweile erst gar nicht aufkommen kann. Gleich zu Beginn sehen wir, dass die Mutanten auf Dauer keine Chance im Kampf gegen die Sentinels der neusten Generation haben – sie sind biomechanische Waffen, die sich nach kürzester Zeit an die Fähigkeiten ihrer Gegner anpassen können. Ice-Man (Shawn Ashmore), Colossus (Daniel Cudmore) und die anderen verbliebenen X-Men können sich zwar immer wieder Dank Kitty Prides Fähigkeit retten, aber langfristig werden sie alle sterben.
Der nachfolgende Wechsel in die 70er Jahre erweist sich als erzählerischer Glücksgriff, denn so löst man sich zum einen vom stetigen Überlebenskampf in der dystopischen Zukunft, sondern man kann auch zu den jüngeren und deutlich frischeren Inkarnationen der X-Men wechseln. Bryan Singer ist hier als Regisseur souverän und präsentiert uns einige wunderbare Szenen, die die 70er Jahre spürbar lebendig werden lassen. Wobei hier eines gesagt werden muss: den wahren Höhepunkt des ganzen Filmes widmet Singer einem neuen Mutanten, der hier leider nur einen Kurzauftritt hat: Quicksilver (Evan Peters). Aber für einen X-Men wie Quicksilver, für den eine Sekunde eine Ewigkeit dauern kann, reichen Sekundenbruchteile um nicht nur seine Freunde zu retten, sondern auch noch um jede Menge Spaß zu haben. Singer unterlegt diese Szene genialerweise mit dem Song »Time in a Bottle« vom Jim Croce aus dem Jahr 1972 (»But there never seems to be enough time to do the things you wanna to do …«). Ein kleines Meisterstück in diesem Film!
Wie in allen X-Men-Filmen ist das zentrale Thema die Frage nach der Akzeptanz der Mutanten in der menschlichen Gesellschaft, eigentlich sogar die Frage nach der Akzeptanz von Andersartigkeit im Allgemeinen. Das ist leider insgesamt betrachtet auch der Grund für einen der Schwachpunkte des Films. Warum nämlich Dr. Bolivar Trask (gespielt von Peter Dinklage) die Mutanten so hasst, dass er sie ausrotten will, bleibt unbeantwortet (was gerade angesichts seiner eigenen Andersartigkeit durchaus interessant hätte werden können). Anderseits nimmt sich Bryan Singer die Zeit William Stryker zu etablieren, dessen Kampf gegen die X-Men wir aus »X-Men 2« kennen. Was ich ebenfalls bei diesem rasanten und an Höhepunkten (auch Dank der hochrangigen Besetzung) reichen Film ebenfalls etwas schade fand, ist die Tatsache, dass die Handlung ausgehend von der bekannten Prämisse schlussendlich wieder im altbekannten Kampf zwischen den beiden gegensätzlichen Mutanten-Gruppierungen kumulieren muss. Magneto (Michael Fassbender) wird wieder einmal viel zu eindimensional geschildert, Professor X (James McAvoy) wird hier deutlich mehr Tiefgang gegönnt. Aber das ist meckern auf hohem Niveau – »X-Men: Zukunft ist Vergangenheit« | »X-Men: Days Of Future Past« ist ein neuer Höhepunkt der X-Men-Reihe!
Florian Breitsameter
Kinostart: 22. Mai 2014
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