Hal Clement – Das Fossil

Das Fossil

Bastei-Lübbe, TB 23252
Titel der Originalausgabe: »Fossil« (1993)
Übersetzung aus dem Amerikanischem von Ruggero Leo
Titelbild von Romas B.Kukalis
Bergisch-Gladbach, August 2002, 7,90 Euro, 412 Seiten

Hal Clement ist neben Ray Bradbury, Jack Williamson und bedingt Arthur C. Clarke einer der wenigen noch aktiven SFWA Grand Masters. Auch zu seiner Blütezeit in den fünfziger und sechziger Jahren gehörte er nicht zu den produktivsten Autoren, aber jetzt liegen Jahre zwischen seinen Romanen. Nach »The Fossil« (1993) erschien mit dem schwierigen, aber wissenschaftlichen faszinierenden »Half Life« (1999) nur noch ein Roman.

Alle seine Bücher zeichnen sich durch ihre phantasievollen, aber naturwissenschaftlich belegbaren Hintergründe von »fremden« Welten aus. Selbst in den drei Romanen, die auf der Erde spielen, erscheint der Planet fremdartig. Natürlich wird sein Oeuvre durch den Klassiker »Unternehmen Schwerkraft« überschattet, aber diese Art von Ruhm zeichnet viele Romane und deren Autoren aus, von denen der Leser gehört hat, aber die selten noch gelesen werden. »Unternehmen Schwerkraft« ist seit mehr als fünfzig Jahren ständig lieferbar.

Auch wenn jetzt vorausgegriffen wird, »Das Fossil« macht neugierig auf die anderen Werke Clements und in den Staaten erscheinen jetzt seine literarischen Taten in drei gebundenen Ausgaben, in Deutschland liegen bis auf »Half Life« alle Romane von ihm bei Bastei oder Heyne vor, d.h. sie lagen vor. Der größte Teil ist vergriffen, aber noch zu vernünftigen Preisen bei diversen Anbietern zu kaufen oder bei eBay zu ersteigern.

Harry Clement Stubbs, der später für seine Romane das Pseudonym Hal Clement annahm, wurde am 30. Mai 1922 geboren. Er wuchs in der Umgebung von Boston auf, studierte u.a. in Harvard und schloß seine Studien mit Titeln in Medizin, Astronomie und Chemie ab. Während des Krieges flog er diverse Bombereinsätze und diente im Koreakrieg als technischer Berater. Aus dem Militärdienst zog er sich erst 1976 als Colonel zurück.

Nebenher unterrichtete er bis 1987 an diversen Schulen Naturwissenschaften und ist seit 1952 verheiratet. Er hat zwei Söhne und eine Tochter. Seine Begeisterung für die Science Fiction begann 1930 mit den »Buck Rogers«-Comics und Jules Verne. Neben den fiktiven Abenteuern hat ihn aber schon in jungen Jahren auch die Astronomie begeistert. Seine erste Kurzgeschichte »Proof« erschien 1942 im heutigen Analog.

In seinem ersten Roman »The Needle« (Dt. Das Nadelöhr bei Heyne) schildert er die Erlebnisse eines außerirdischen Polizisten auf unserer Erde aus dessen Sicht, der einen Verbrecher jagt. Schon hier ist ersichtlich, daß Clement sehr viel wert auf die Schilderung des Fremden, des außerirdischen Wesens legt, ihn aber nicht als Aggressor sieht, sondern als fremde Intelligenz.

Natürlich ist »Mission of Gravity« (dt. »Unternehmen Schwerkraft«) Clements berühmtester und in vielerlei Hinsicht bester Roman. Auf einer Welt mit extremer Schwerkraft ist eine Sonde mit wertvollen Daten abgestürzt und nur ein Bewohner dieser Welt kann sich bis zum Pol des Planeten durchschlagen, um den hilflosen Menschen im Orbit zu helfen. Clements fremde Welten sich wirklich alienhaft, die Natur extrem, aber die außerirdischen Lebensformen passen sich mit ihren von der Natur gegeben Überlebensinstinkten ihrer Umwelt an. Oft können sich die Menschen nur mit Hilfe der Technik diesen Umständen stellen, sie stehen aber trotzdem dem Phänomen des Lebens staunend gegenüber.

Selten wird das deutlicher als in »Close to Critical« (dt. »Der Feuerzyklus« von Heyne). Der Astronaut Nils Krüger wird bei einer Expedition auf einem fremden Planeten in einem Krater verschüttet und als vermißt zurückgelassen. Alleine versucht er auf dem heißen Planeten zu überleben und trifft auf den außerirdischen Lehrer Dhar, dessen Flugzeug notlanden mußte, als er die Bücher seines Volkes zurück in eine Eishöhle bringen wollte, wo diese sicher für zukünftige Generationen aufbewahrt werden. Zuerst versuchen die so unterschiedlichen hochintelligenten Wesen nur zu überleben, aber als Krüger erfährt, daß die Außerirdischen ihren genauen Todestag kennen, versucht Krüger in ihren Lebenszyklus einzugreifen, ohne daß er sich bewußt ist, daß jeder Tod auch ein neuer Anfang ist.

Genau wie Robert Forwards »Das Drachenei« die Idee von »Unternehmen Schwerkraft« weiterentwickelt, in dem er das Leben auf einem Neutronenstern schildert, hat Vernor Vinges »A Fire in the Sky« die Idee des Volkes, das sterben muß, um einer neuen Generation Platz zu schaffen, im Rahmen einer epischen Space Opera wieder aufgenommen.

Schon in den fünfziger Jahren zeichnen sich Clements Bücher durch ihr Verständnis der Fremden aus. Es gibt selten kriegerische Konflikte (die Natur ist Feind genug) untereinander, nur Unverständnis und Mißverständnisse, die intelligente Menschen und Wesen auf dem Wege der Kommunikation und des Lernen beseitigen können.

Hal Clements bislang letzter Roman »Half Life« setzt sich nur mit uns auseinander. Todkranke Wissenschaftler fliegen zu einem der Jupitermonde, in der Hoffnung dort in den mikrobiologischen Lebensformen ein Heilmittel gegen eine Seuche zu finden, die die gesamte Menschheit bedroht. Auf den ersten Blick pessimistischer als seine anderen Romane, setzt sich Clement konsequent mit dem inneren Wesen des Menschen in den Extremsituationen des langen beklemmenden Raumfluges und der Verarbeitung seiner eigenen Sterblichkeit auseinander.

Seit 1972 ist er unter de Pseudonym George Richard auch als Maler aktiv. In einem Interview erklärte er, daß es ihn damals gestört hat, die interessanten Bilder auf den Cons aus finanziellen Gründen nicht kaufen zu können und so hat er sich eben selbst an die Arbeit gemacht. Seine Bilder zieren die neue Komplettausgabe, die auch eine neue Kurzgeschichte aus seinem Mesklin-Universum enthält.

Trotz seines hohen Alters besucht Clement sehr oft und auf eigene Kosten Science Fiction-Cons in seiner Nähe und hält Kontakt zu den Fans. Im Gegensatz zu anderen sehr bekannten Autoren, hat er das Schreiben als Ausgleich zu seinen bisherigen beruflichen Tätigkeiten gesehen und für viele seiner Werke umfangreiche Recherchen angefertigt. Erst die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse haben Bücher wie STILL RIVER (»Die Flüße der Tiefe«, Heyne) erst ermöglicht.

Aber nun zu »Das Fossil«. Hugh und Janice Cendar arbeiten auf einem Eisplaneten. Er ist Sicherheitschef und sie Biologin. Um dort ihren Aufgaben nachgehen zu können, mußten sie sich biologisch anpassen und atmen nur noch Wasser. Neben ihnen leben verschiedene Spezies auf diesem Extremplaneten. Neben einer schlangenartigen Rasse leben als scheinbare Ursprungsspezies auch Flugechsen. Alle Wissenschaftler sind auf der Suche nach der siebten Ursprungsrasse, aus der alles Leben entstanden ist.. In dem Eis finden sie verschiedene Reste von Vorfahren, die die These unterstreichen, daß der Eisplanet kein eigenes Leben hervorgebracht hat. Andere Puristen vertreten die Theorie, daß es die siebte Rasse nie gegeben hat, und daß die gefundenen Artefakte plumpe Fälschungen sind. Um das zu beweisen, schrecken sie nicht davor zurück, Mitglieder des Teams bewußt in lebensgefährliche Situationen zu bringen und schließlich auch einige der Spuren durch geschickte Sprengungen zu verwischen. Die beiden Menschen müssen sich nicht nur mit den unterschiedlichen Außerirdischen auseinandersetzen, auf dem Planeten überleben, sondern auch wissenschaftlich fundiert den Beweis antreten, daß es diese Rasse wirklich gegeben hat, aus der alles Leben entstanden zu sein scheint.

Genau wie in den anderen Romanen Clements, geht es auch hier in erster Linie um die Forschung. Gewalt, Täuschung und Betrug stehen an zweiter Stelle. Wirkliche Schurken gibt es nicht. Natürlich versuchen die Fanatiker ihre Thesen zu beweisen, aber sie gehen vorsichtig mit dem Leben ihrer Gegner um. Die extreme Umwelt des Planeten bewirkt, daß selbst einfach Vergnügungen wie z.B. Skifahren zu einer lebensgefährlichen Angelegenheit werden. Besonders plastisch schildert er dabei nicht nur die unterschiedlichen Rassen, sondern auch ihre einzelnen Kommunikationsversuche untereinander und die einzelnen Charakterzüge sind detailliert ausgearbeitet worden. Durch diese Liebe zu seinen Figuren übertüncht Clement die einfache, fast karge Handlung des Buches. Auf den ersten hundert Seiten lernt man nur die Figuren kennen und es wird ein leerer Gleiter gefunden, in dessen Innerem ein weiteres, aber dieses Mal vollständiges Fossil ist. Man macht sich dann auf die Suche nach den Eigentümern des Gleiters und findet verschiedene Wesen, die auf dem Planeten eigentlich nichts zu suchen haben. Leidlich spannend fließt die Handlung dahin, unterbrochen durch die dreidimensionale Schilderung des Planeten und seiner verschiedenen Gefahren für die Menschen.

Wissenschaftlich unterlegt spekuliert Clement über verschiedene Abstammungstheorien und beweist dem Leser, daß das Buch ein eigenständiges Werk ist und nur wenig mit dem »ein Roman aus Isaac Asimovs Universum«-Label zu tun hat. Es stellt sich dem Leser die Frage, warum auch der amerikanische Verlag das Buch Anfang der neunziger Jahre mit diesem Label zu verkaufen suchte, denn viele Leser werden doch durch die scheinbaren Kooperationen abgeschreckt, denen sich in letzter Zeit besonders Arthur C. Clarke und Janet Asimov hingegeben haben. Bei ersteren ist nur die Zusammenarbeit mit Baxter »Das Licht eines anderen Tages« lesenswert, auch wenn die Idee von Bob Shaw in seinem Buch »Andere Welten, andere Tage« besser verarbeitet worden ist, während inzwischen auch Janet Asimov schon Science Fiction schreibt. Clements Roman ist ein eigenständiges Werk und an keiner Stelle des Buches findet man offensichtliche Referenzen zu Isaac Asimov. Im Gesamtwerk Clements paßt sich das Buch sehr gut ein und im Gegensatz zu dem sehr langatmigen »Die Flüsse der Tiefe«, der oberflächliche Figuren auf einem sehr interessanten Asteroiden beschreibt, wirkt „Das Fossil“ fundierter, lebhafter und angenehmer. Der Leser identifiziert sich selbst mit den fremdartigen Außerirdischen und stellenweise schildert Clement mit einem kleinen Augenzwinkern die Gefühlswelt dieser uns doch so überlegenen Wesen (»Keine Flügel«). Die beiden menschlichen Charaktere wirken dagegen sehr steif und einfach. Hugh als Sicherheitschef wird mehr als einmal von den Ereignissen überrumpelt und er macht sich Vorwürfe, an verschiedene Dinge nicht gedacht zu haben. Erst zum Ende hin kann er die Initiative ergreifen und verschiedene, sich anbahnende Katastrophen verhindern und den Fluß der Handlung in den richtigen Eiskanal lenken.

Und so bleibt »Das Fossil« einer der wenigen sehr überzeugenden Hard Science Fiction Romane der letzten Jahre und die Veröffentlichung in Deutschland zeigt, daß Bastei seine erfolgreiche Mischung aus Klassikern wie Jack Vance oder Robert A. Heinlein mit dieser Publikation fortführt, ohne »neue« Autoren wie John Barnes oder Peter F. Hamilton zu vergessen und der Science Fiction im wahrsten Sinne des Wortes weiterhin ein Heim gibt.