Knaur-Verlag
ISBN: 3-426-66153-5
Titelbild von Thomas Thiemeyer
München, August 2005, € 18,90, 400 Seiten
Jede gute Abenteuergeschichte braucht einen ebenso überzeugenden Aufhänger. Mitten im afrikanischen Dschungel soll sich auf dem Grunde eines kreisrunden Sees ein sagenumwobener Riesensaurier verbergen: Mokele MBembe. Für die Sachwelt ist dies eher eine exotische Variation der Loch Ness-Legende, weshalb der junge Genetiker David Astbury auch so von einer Einladung in die USA überrascht wird. Dort besucht er die Mutter seiner Jugendliebe Emily Palmbridge. Deren Tochter ist eben auf der Suche nach dieser Legende im afrikanischen Dschungel verschollen. Einzige Hinterlassenschaft ist eine beschädigte Digitalkamera, auf der man genau diesen Riesensaurier erkennen kann. Und seinen Angriff auf das Boot der Expedition. Schon aus alter Verbundenheit, wenn nicht gar Liebe, macht sich Astbury zusammen mit zwei Großwildjägern auf, im Dschungel nach der verschollenen Expedition zu suchen.
Thomas Thiemeyer unterteilt seinen Roman sehr geschickt ist eine klassische abenteuerliche Hälfte und dreht dann im Laufe der Handlung den Spieß um. Aus der Jäger- und Gejagtenrolle heraus entwickelt er für die einzelnen Charaktere Züge, die auch erfahrene Leser überraschen. Da der Roman nur knapp vierhundert Seiten lang ist, läßt sich Thiemeyer zu Beginn seiner Geschichte wenig Zeit, um holzschnittartig seine einzelnen Protagonisten darzustellen. Der unerfahrene, aber schließlich über sich hinaus wachsende Genetiker, der skrupellose und verschlagene australische Großwildjäger und dessen Assistenten, die ein Geheimnis stärker als der Tod verbindet und die attraktive und sexuell aktive afrikanische Biologin, die der Meinung ist, nach dem ebenfalls legendären Kleinstelefanten zu suchen. Auch wenn die einzelnen Elemente gesondert betrachtet eher altbacken als innovativ wirken, funktioniert die vom Autor angestrebte Mischung. Bis auf Astbury versucht der Autor deren Hintergrund möglichst allgemein zu halten und dem Leser die Möglichkeit zu geben, eigene Ideen in die Charaktere zu projektieren. Dieses Prinzip funktioniert allerdings nur, weil sich Thiemeyer auf die Fahne geschrieben hat, einen schnellen, rasanten und vielschichtigen Abenteuerroman um diese Figuren herum zu schreiben. Mit Astbury hat er dann allerdings einen sensiblen Theoretiker mit der Neigung zur Selbstzerfleischung geschaffen. Seine bisherigen Freundinnen ähnelten natürlich der jetzt vermißten, forschen jungen Frau. Neben Beziehungsängsten prägt eine hohe Intelligenz, eher intellektuell nach innen gerichtet, seinen Charakter. Trotzdem ist er dank seines Vaters tropentauglich. Früher nannte man solche Geschichten »Erzählungen für die reifere Jugend«, diesen Ansatz verfolgt Thiemeyer unbewußt und indirekt weiter. Astbury muß stellvertretend für seine Leser durch die Höhle gehen, sich seinen Ängsten stellen, mit der Vergangenheit abschließen, um sowohl beruflich als auch privat ein neues Leben beginnen zu können. Der Autor zitiert mehrmals Joseph Conrads Roman »Herz der Finsternis«, ein Buch, das Astbury auch mit auf die Reise in den afrikanischen Dschungel nimmt. Genau wie bei Conrad steht die äußerliche der inneren Reise gegenüber und ohne die Reflektion der einen Seite kann die andere sich auch nicht entwickeln.
Die Actionszenen enthalten eine gelungene Mischung aus Spannung, Konfliktpotential, fremdartige Begegnungen und schließlich auch dem obligatorischen Monster. Thiemeyer legt nicht zu viele falsche Fährten. Er wechselt die erzählerische Perspektive und bemüht sich dadurch, dem kommenden Geschehen vorzugreifen und das Panorama zu erweitern. Das funktioniert nur teilweise, zu wenige Informationen fließen aus der Parallelhandlung in den eigentlichen Rahmen hinein und die Beschreibung des Pygmäen kommt über die bekannten Klischees nicht hinaus. Hier wäre es sinnvoller gewesen, entweder Aufzeichnungen der ersten Expedition zu nutzen oder gänzlich auf die – natürlich immer zum potentiellen Cliffhanger –einsetzende Handlung gänzlich zu verzichten. Warum nicht gleich zu Beginn einen einheimischen Führer engagieren um dadurch weitere Spannungen in der Gruppe zu erzeugen?
Daß der Autor sowohl Indiana Jones, als auch die Haggard-Romane kennt, wird bei der ersten Begegnung mit der fremden Hinterlassenschaft deutlich. So ergreifend die Szene auch inszeniert ist, so unüberzeugend wirkt sie. Hier erkennt der aufmerksame Leser, daß Thiemeyer noch Schwierigkeiten hat, zwischen Pathos und Überzeugung zu unterscheiden. Positiv zu vermerken ist, daß er auf Happy Ends im vordergründigen Sinne zu Gunsten von Plausibilität verzichtet. Allerdings nimmt er seinem Protagonisten Astbury auch eine Reihe von emotionalen Entscheidungen ab. Hier wählt Thiemeyer den »Hollywood Way of Life«.
Ganz bewußt erweckt er sowohl in der äußeren Gestaltung, auf die er Einfluß hatte, als auch im dramatischen Prolog den Eindruck, eine normale Monstergeschichte erzählen zu wollen. Erst in der zweiten Hälfte des Buches dreht sich die Perspektive.
Aus der anscheinend voraussehbaren Geschichte wird eine intellektuelle Auseinandersetzung um die Grenzen der Forschung und die Opfer, die diese mit sich bringt. Dazwischen streut Thiemeyer noch den Gedanken, obwohl zu viel des Guten eher das Gegenteil bewirkt und die Menschen reif für neue Entwicklungen sind. Über weite Strecken dieser Auseinandersetzung bleibt die Pyramide theoretisch und der Leser folgt dieser Ablenkung eher widerwillig. Erst am Ende seines Buches konfrontiert der Autor in Gestalt seines Protagonisten auch die Leser mit dieser Frage und bietet keine leichte Lösung an. Ob die von seinen Charakteren gewählte Entscheidung wirklich realistisch ist, steht auf einem anderen Blatt. Der Autor weicht im Gegensatz zu einigen anderen Gegenwartsautoren weder der Frage, noch der cineastischen Antwort aus. Das »Monster« selbst stellt er nur in wenigen Szenen in den Vordergrund und bleibt bis auf die äußerliche Beschreibung wage. Wäre Thiemeyer über diese Grenzen hinausgeschossen, hätte er sich und seine ernste Geschichte der Lächerlichkeit preisgegeben. Zu viele dieser Szenen intensiv zu analysieren, verdirbt den Reiz, die Story zu lesen. Trotzdem präsentiert sich der Roman zeitweise als Balanceakt, nicht zwischen Moral und Forschung, sondern zwischen Abenteuer und Lächerlichkeit. Trotzdem führt der Autor seine Figuren und damit auch seine Leser rechtzeitig vor dem Abgrund auf den Pfad der Tugend zurück.
»Reptilia« ist trotz einiger Schwächen – seine Figuren wirken immer noch etwas hölzern und die Dialoge gestelzt – ein interessanter Nachfolger zu »Medusa«. Auch wenn es vielleicht Thiemeyer nicht zugeben möchte, er schreibt aufreizend für das visuelle Medium und weniger für ein kritisches, anspruchsvolles Lesepublikum. Auch hier erinnert er an Michael Crichton, der nach dem Ende seiner eigenen Regiekarriere in den frühen achtziger Jahren seine Treatments zu Romanen umarbeitete, die wiederum von anderen Regisseuren mit einem hohen Budget schrecklich verfilmt worden sind. Wirkten viele Szenen in »Medusa« noch gezwungen und in der Kontinuität notwendig und nicht natürlich, fließt die interessante und phasenweise vielschichtige Handlung in »Reptilia« sehr viel besser vom Prolog zum Epilog dahin. Immer wieder finden sich einzelne reißende Stromschnellen und einige andere Teile erinnern an eine gemütliche Floßfahrt. Im Hafen wird der Leser sich an eine spannende Reise erinnern, auf der er viel gesehen und nur wenig gelernt hat. So stellt dieser Romane Entspannung für den Geist und Erheiterung für die Seele dar, und erweist sich als guter, nicht abgehobener Unterhaltungsstoff.