EINLEITUNG
Thomas Thiemeyer gestaltet seit einigen Jahren durch seine Coverillustrationen das Gesicht der Heyne SF & Fantasy-Reihe mit (u.a. die zehnbändige Foundation-Komplettausgabe). Im Mai 1999 wurde er in Dortmund für sein Titelbild zu »Auf zwei Planeten« mit dem Kurd-Laßwitz-Preis für die »Beste Grafik des Jahres 1998« ausgezeichnet.
Florian Breitsameter von SF-Buch.de sprach im November 1999 in Poitiers, Frankreich, anläßlich des UTOPIA-Kongresses mit Thomas Thiemeyer. Das Interview wurde im Februar/März 2000 überarbeitet und per eMail ergänzt.
INTERVIEW
SF-Buch.de: Wie bist Du zur Malerei gekommen?
Thomas Thiemeyer: Wie ich zum Malen gekommen bin, ist denkbar einfach. Meine Mutter ist Illustratorin, mein Vater war Modefotograf. Ich habe von Kindheit an gelernt, daß man von kreativer Arbeit gut leben kann. Soweit ich mich erinnern kann, habe ich immer in der Nähe meiner Eltern gehockt und mit allem gemalt was mir in die Finger kam.
Angefangen habe ich mit Comics – ich hatte einen Freund, der diese auch gerne gezeichnet hat, und wir haben uns langweilige Schulstunden mit Cartoon-Schlachten verkürzt. Später wurde die Malerei seriöser und großformatiger. Aber wie gesagt: das liegt in den Genen. Ich kann mir kein anderes Leben vorstellen, als das eines Freiberuflers. Von 1987-89 war ich im Ravensburger Buchverlag angestellt, habe Layouts erstellt und neue Produktformen entwickelt. Dort habe ich viel über das Büchermachen gelernt und Erfahrung gesammelt, doch mir wurde bald klar, daß ich nicht für das Angestelltendasein tauge. Ich möchte gerne selbständig arbeiten und mein eigener Chef sein.
Das ist also Dein Traumberuf?
Ich hatte viel Spaß an den Exkursionen und habe interessante Dinge über Tektonik, Vulkanismus und Paläontologie erfahren. Es wurde aber immer deutlicher, wie hart es sein würde, in diesem Bereich seine Brötchen zu verdienen. Man muß jederzeit bereit sein, den Standort zu wechseln und zwar quer über den Globus. Oder, und das hat mir noch weniger behagt, in einem Labor zu arbeiten und Erdproben oder Gesteinsschliffe zu analysieren.
Der andere Treffer auf der Frankfurter Buchmesse war der Heyne-Verlag. Seit frühester Jugend habe ich SF gelesen und mir immer, wenn ich vor den Regalen stand, gewünscht: »Einmal ein Bild von mir auf dem Titel sehen, das wär‘ das Tollste!« Ich bin ohne große Erwartungen an den Heyne-Stand gegangen, habe Friedel Wahren kennengelernt und ihr meine Bilder gezeigt. »Klasse, schicken sie mal ein paar Dias in den Verlag«, war die Antwort. Wolfgang Jeschke hat daraufhin zwei oder drei meiner alten Bilder als Titelbilder verwendet und mir neue Aufträge gegeben.
Verliert man nicht etwas, wenn man sein Hobby zum Beruf macht?
Du nutzt den Computer ja auch für Deine Arbeit. Wie hast Du damit begonnen und hast Du Dir das selbst beigebracht?
Ja, das hat bei uns in der Familie Tradition. Bei der Malerei war ich Autodidakt und mit dem Computer war es nicht anders. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was sich damit machen läßt, bis meine Freundin mich mit der Nachricht überraschte: »Wir kaufen uns einen Mac!«
Paradoxerweise hat sie völlig das Interesse daran verloren, während ich vom ersten Augenblick an begeistert war und mich in die Technik gegraben habe. Der Computer öffnet im grafischen Bereich ganz neue Möglichkeiten. Mit Programmen wie Bryce und Strata kann man erstaunlich realistische 3D-Grafiken erstellen, die dann mit Photoshop, dem besten Bildbearbeitungsprogramm, weiterverarbeitet und durch gemalte Elemente ergänzt werden. Entscheidend an der Computergrafik ist aber, daß man bis zur letzten Sekunde Veränderungen vornehmen kann, was in der Malerei nicht der Fall ist. Es ist eine gänzlich andere Arbeitsweise – am Computer hat man bis kurz vor Schluß immer noch die Möglichkeit Bildelemente und Farben zu verändern und Gegenstände herumzuschieben. Das erleichtert Korrekturen.
Das hängt sehr stark vom inhaltlichen Aspekt ab. In der Science-Fiction ist häufig Technik und Architektur auf dem Umschlag gefragt. Die erforderliche Präzision ist mit reiner Malerei schwer zu bewerkstelligen. Für das Buch „Cetaganda“ von Lois McMaster Bujold habe ich eine Großstadt bei Nacht entworfen. Tausende leuchtender Fenster. Mit dem Pinsel in der Hand würde ich wahrscheinlich heute noch an dem Bild sitzen.
Ein weiterer Unterschied liegt in der Schnelligkeit – Computergrafiken lassen sich deutlich schneller herstellen als traditionelle Gemälde. Für ein durchschnittliches Cover in Öltechnik brauche ich fünf bis sechs Tage. Ein Cover am Computer läßt sich in der Hälfte der Zeit illustrieren. Das ist natürlich ein wichtiger Aspekt wenn sich die Aufträge stapeln. Im Verlagsgeschäft verteilt sich die Arbeit nicht gleichmäßig übers Jahr. Es ist nicht ungewöhnlich, daß ich fünf oder sechs Cover in einem Monat anfertigen muß. Mit reiner Malerei wäre das gar nicht zu schaffen. Dann bin ich natürlich sehr froh darüber, wenn ich einen Teil der Aufträge am Computer bearbeiten kann.
Wenn ich jetzt zwischen beiden Techniken wählen müßte, würde ich mich aber für die Malerei entscheiden, denn die Arbeit an einem echten Gemälde ist deutlich befriedigender.
Ich habe mal überlegt, woran das liegen könnte. Ein Gemälde hat Geruch, es hat Farbe und es ist ein Gegenstand, den man in der Hand halten kann und der nicht nur in Form von Bits und Bytes im Rechner existiert. Außerdem setzt einem der Arbeitsprozeß gewisse Grenzen. Nicht alles was in meinem Kopf ist, kann ich auf dem Papier umsetzen. Daher muß ich andere Lösungen ausknobeln und teilweise kommen dadurch gänzlich andere Bilder heraus. So merkwürdig es klingen mag: gerade dieser Umstand macht die Malerei zu einem Abenteuer.
Bei der Computergrafik ist es so, daß ich solange tüftle und feile, bis das Bild, das ich im Kopf habe, auf dem Monitor erscheint. Jeder Schritt, der in die falsche Richtung geht, ist ja umkehrbar, d.h. wenn ich einen Fehler mache, kann ich sofort auf den letzten Speicherpunkt zurückgehen und ihn korrigieren. Dadurch entfällt aber dieses gewisse Kribbeln, daß man beim Malen eines Bildes hat, das Abenteuer, das Risiko. Der Adrenalinspiegel beim Malen liegt deutlich höher als beim »computerisieren«, denn es können Dinge passieren mit denen ich nicht gerechnet habe. Dinge, die ein Bild ruinieren, es aber auch deutlich verbessern können. Auf dem Papier findet ein Entwicklungsprozeß statt, auf dem Computer nicht.
Ich habe darüber gestern mit Marcus Hammerschmitt diskutiert. Er hat diesbezüglich eine andere Meinung. Vielleicht liegt es daran, daß er Bildkollagen anfertigt. Dafür ist ein Computer natürlich prädestiniert. Für ein Gemälde bietet der Computer dagegen keinen echten Ersatz.
Es gibt auch Verlage, von denen ich nicht mehr als ein Briefingpapier erhalte, auf dem steht, wie das Cover auszusehen hat. Das ist eine Arbeitsweise, die mir überhaupt nicht gefällt, weil sie mich einschränkt. Man darf natürlich nicht vergessen, daß Coverillustrationen in erster Linie dazu dienen, ein Buch zu verkaufen. Es geht nicht darum wieviel Spaß ich daran habe, dieses Bild herzustellen aber ich bin der Meinung, daß man es einem Umschlag ansieht, ob der Illustrator mit dem Herzen bei der Sache war. Daher bin ich sehr glücklich mit Friedel Wahren, Wolfgang Jeschke und Sascha Mamczak vom Heyne Verlag, die mir bei der Gestaltung viele Freiheiten lassen.
Wie triffst Du die Motivwahl?
Eine vielleicht eher lästige Frage, ist die nach den Vorbildern…
Ich finde die Frage ist wichtig. Jeder kreativ arbeitende Mensch den ich kenne hat seine Vorbilder (Na ja …bis auf einen. Grüße an Michael Marrak). Es wird häufig nicht gerne darüber geredet, aber das ist falsch. Vorbilder müssen sein. Für jemanden wie mich, der sich alles selber beigebracht hat, ersetzen sie den Lehrer. Praktisch gesprochen bedeutet es, daß ich stets die Augen offen halte und mir klar mache – was gefällt mir, was ist toll gemacht, wem eifere ich in irgendeiner Form nach (ohne einfach nur abzumalen) und welche Stilelemente gefallen mir. Da gibt es eine Menge Illustratoren aus England und Amerika, die Spitzenklasse sind und die mich stark beeinflußt haben.
Los geht’s mit N.C. Wyeth, der Anfang des vorigen Jahrhunderts Jugendbuchklassiker wie Robert Louis Stephensons »Schatzinsel« illustriert hat. Die Dramatik und Dynamik in seinen Bildern ist bis heute unübertroffen.
Aber es gibt auch einige aktuelle Illustratoren, wie Michael Whelan, die mich stark geprägt haben. Er ist für mich ein Meister des Details. Manchmal wirken die Szenen ein bißchen eingefroren, aber in meiner Phantasie kann ich in ihnen spazieren gehen. Es ist alles ausgearbeitet, bis zum letzten Grashalm. Ich bewundere, wieviel Geduld und Können darin steckt, solche Bilder zu gestalten. Weitere bekannte Namen sind Tim White, Keith Parkinson, Bruce Pennington und Jim Burns.
Wer mich ebenfalls stark geprägt hat, war der englische Illustrator Chris Foss, der phantastische Weltraumszenerien und bizarre Technologien malt. Er war eine meiner ersten Inspirationen. Ich war sechzehn und schwor mir: »Das willst Du auch mal machen«. Naiv habe ich angefangen Farbe aufs Papier zu klecksen, Sterne zu malen und Raumschiffe zu entwerfen. Was dabei herauskam war natürlich größtenteils Mist, aber die Thematik hat mich fasziniert und ich bin dabei geblieben.
Neben der SF machst Du ja auch viele Arbeiten für den Jugendbuchmarkt?
Gerade bei den Jugendsachbüchern, die ich bei Ravensburger gemacht habe, mußte ich sehr viel recherchieren, weil der Inhalt von Fachleuten gründlich geprüft wird. Ich habe Bücher zum Thema Saurier, Evolution des Menschen, zu Astronomie, Indianern und Naturphänomenen, Entdeckern und Rittern illustriert und jedes Buch hat andere Anforderungen an mich gestellt. Der Arbeitsprozeß macht viel Spaß, denn man kommt unter Leute; man sitzt nicht still in seinem Kämmerlein und denkt sich etwas aus, sondern ist mittendrin im Geschehen und nimmt Teil an der Entstehung eines Buchs. Das ist sehr befriedigend.
Dieses Arbeiten im »stillen Kämmerlein« wird ja oft beklagt…
Gibt es Reaktionen der Leser auf Deine Bilder?
Beim Jugendbuch ist die Situation angenehmer. Beim Ravensburger Buchverlag wurde ich mit Rezensionen verwöhnt, in denen auch die Illustration ausführlich bewertet wurde. Auf der Basis dieser Rezension, konnte ich mir überlegen, ob ich das nächste Buch vielleicht ein bißchen anders angehe.
Welche Technik verwendest Du für Deine Gemälde?
Die bevorzugte Technik wird immer die Ölmalerei sein. Das ist eine Farbe, an die ich mich mittlerweile so gewöhnt habe, daß ich sie in- und auswendig kenne und weiß, was ich mit ihr machen kann und was nicht. Ich habe mal ein paar Ausflüge in die Acryltechnik gemacht und bin ganz schnell davor geflohen, nachdem Dutzende von Pinseln eingetrocknet sind und unrettbar verloren waren. Ölfarbe hat natürlich einen entscheidenden Nachteil: Sie trocknet langsam und ist daher für eilige Aufträge nicht geeignet. Aber es gibt eine Farbe, die diesen Nachteil minimiert. Eine bestimmte Ölfarbe, die sich Alkydfarbe nennt, hat einen Trocknungsbeschleuniger eingebaut. Sie vermalt sich wie normale Ölfarbe, aber das Bild ist schon nach zwei Tagen fingerfest getrocknet.
Sie ist sehr flexibel und man kann korrigieren, wenn man einen Fehler gemacht hat. Man kann wunderbare Verläufe herstellen und es existiert eine riesige Farbpalette! Ölfarbe ist die Farbe, für die es die meisten Farbnuancen zu kaufen gibt.
Bei uns arbeiten wenige Illustratoren in Öl. In Amerika oder England sieht es dagegen anders aus. Ich habe einige Jahrbücher wie den »American Illustrator«, oder die »Spektrum«-Reihe zuhause und war erstaunt zu erfahren, wie verbreitet Ölfarbe dort ist. In Deutschland war die Reaktion häufig: »Das läßt sich doch gar nicht reproduzieren, ist doch viel zu dick, das bröckelt vom Papier, wenn wir es durch den Scanner schicken.« Aber ich arbeite mit viel Verdünner und verwende die Farbe sparsam und dünn. Dabei gibt es überhaupt keine Probleme.
Deine Bilder werden dann eingescannt?
Ja, denn ein Trommelscanner liefert natürlich die besten Ergebnisse. Aber auch mit einem Flachbettscanner lassen sich gute Resultate erzielen. Im Jugendbuchbereich läuft die Repro ausschließlich über Scanner; bei Coverillustrationen wird als Zwischenstufe häufig erst ein Dia angefertigt. Dieser Zwischenschritt bedingt einen kleinen Qualitätsverlust, der aber dadurch ausgeglichen wird, daß ich die Bilder großformatig anlege. Bei Digitalen Illustrationen spare ich mir diese Schritte und liefere gleich die Daten auf CD ab.
Es fällt mir schwer exakt einzugrenzen, was genau zur Vorarbeit dazugehört. Eng gefaßt benötige ich zwei bis drei Tage. Text lesen, Sekundärmaterial zusammensuchen, Skizzen machen, diese auf den Reinzeichnungskarton übertragen und gegebenenfalls Teile des Bildes mit Folie maskieren (ist aber eher selten). Abgesehen davon halte ich immer die Augen auf, mache Fotos und besorge mir Bücher. Nichts ist befruchtender als sich einen klaren Blick zu bewahren und sich fremden Eindrücken nicht zu verschließen.
Was war Deine bisher ungewöhnlichste Arbeit?
Es begann mit einem Anruf. Eine Stimme meldete sich und verkündete: »Ich heiße Manfred Ewel und melde mich vom Indischen Ozean. Ich würde sie gerne einladen uns für zwei Wochen in Tanzania zu besuchen.«
Ich dachte, da würde mir jemand einen Streich spielen, aber der Anrufer entpuppte sich als Leiter der Goethe-Instituts Dar es Salaam und der Anruf war absolut ernst gemeint. Tanzania war von 1890-1918 unter deutscher Regierung (Deutsch-Ostafrika) und in diesem Zeitraum wurden im Süden des Landes die bedeutendsten Saurierfunde Afrikas gemacht (Tendaguru). Die Knochen wurden konserviert und nach Berlin transportiert, wo sie heute im Naturhistorischen Museum zu bewundern sind. Da dieser Sachverhalt in Tanzania relativ unbekannt ist, entschloß sich ein Kinderbuchverlag in Dar mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland, ein Buch zu diesem Thema herauszubringen. Voraussetzung war aber, daß es von einem deutschen Illustrator bebildert wird – und so kam ich ins Spiel. Die Erlebnisse, die wir dann nahe der Grenze von Mozambique hatten, gingen schon in die Richtung eines Indiana-Jones Films und gehören zu meinen aufregendsten Erinnerungen.
Du hast erwähnt, daß Du selbst schreibst…
Was liest Du denn selber gerne?
Vielen Dank für das Interview!
© Thomas Thiemeyer & Florian Breitsameter