Walter Jon Williams – The Praxis

The Praxis

Earthlight (Simon & Schuster UK Ltd.), Paperback
ISBN 0-7434-6110-X
Originalausgabe
Titelillustration von www.glensaville.com
London Oktober 2002, 10,99 £, 418 Seiten

10.000 Jahre lang beherrschten die großen Shaa ein riesiges Sternenreich. Ihr ganzes Leben und all ihre Bestrebungen richteten sich nach einer Reihe von festen Regeln, der sogenannten „Praxis“, die u.a. aussagt, daß alle wichtigen wissenschaftlichen Erkenntnisse bereits bekannt sind und weitere Forschung deshalb unnötig und Gentechnik verboten ist. Die Shaa zogen aus und eroberten fremde Völker um diese auch den Regeln der „Praxis“ zu unterwerfen. Mit riesigen Kampfraumschiffen und mit Hilfe von stabilen Wurmlöchern durchzogen sie das Universum, und eroberten dabei auch die Erde und gliederten die Menschheit in ihr Reich ein. Doch eines Tages begannen die ansonsten anscheinend fast unsterblichen Shaa aus unerfindlichen Gründen zu sterben. Ein Shaa nach dem anderen beging Selbstmord, bis schließlich nur noch ein Shaa zurückblieb, der nun auf der Zentralwelt Zanshaa seinen Tod vorbereitet.

Hier beginnt die Geschichte von Lord Gareth Martinez und Lady Caroline Sulla, die beide in der Flotte des Imperiums dienen. Da das Imperium seit vielen tausend Jahren keine Expansionspolitik mehr betrieb und deshalb schon lange Krieg mehr geführt wurde, ist es schwierig in den Rängen aufzusteigen. In der Flotte zählt längst nicht mehr nur die militärische Erfahrung und Ausbildung, sondern statt dessen vor allem der gesellschaftliche Rang. Und sowohl Lord Martinez, der aus einer reichen, aber wenig einflußreichen Familie aus den Randbereichen des Imperiums stammt, als auch Lady Sulla, die die Letzte ihres Clans ist, sind Außenseiter in dieser aristokratisch aufgebauten Gesellschaft. Doch ein Zufall verbindet die Schicksale von Martinez und Sulla und so erleben sie beide nach dem Tod des letzten Shaa aufregende Abenteuer, denn das einst so stabile Imperium der Shaa wird plötzlich von einem Krieg erschüttert!

Die Ausgangssituation eines überalterten, dekadent gewordenen Imperiums erinnert an Walter Jon Williams Trilogie um Drake Majistral, den Meisterdieb (die ersten beiden Bände dieser Trilogie erschienen bei Heyne als »Die Kronjuwelen« und »Das Haus der Scherben«, der dritte Roman »Rock of Ages« wurde leider bislang nicht ins Deutsche übersetzt), aber natürlich auch an seine komplizierte Gesellschaft aus den beiden Romanen »Metropolitan« (dt. »Plasma City«) und »City on Fire«.

Walter Jon Williams, der in den 80er Jahren mit »Hardwired« als Cyberpunk-Autor bekannt wurde, schrieb mit »The Praxis« seine erste Space Opera, und spielt auch hier geschickt sein Talent für gelungene Charakterisierungen seiner Hauptpersonen aus und läßt diese in einem faszinierenden Universum agieren, daß überraschend wenig an seiner Cyberpunk-Anfänge erinnert (und sich damit auch von seinem Roman »Aristoi« absetzt).

Walter Jon Williams schickt den Leser in der zweiten Hälfte des Romans in einen interstellaren Krieg, der sich aufregender liest, als selten in der Science Fiction zuvor: eine Welt mit Reisen durch Wurmlöcher, wagemutigen Manövern mit ungeheuren Gravitationskräften und der Kampf mit ferngesteuerten Antimateriebomben und Antiprotonenstrahlen erzeugen beim Leser eine Faszination und Spannung, der man sich nur schwer entziehen kann.

Und mitten in diesem Chaos erleben wir den Aufstieg zweier Menschen, deren Ideenreichtum und Können sie zu Helden in einem furchtbaren, ideologischen Krieg werden läßt. Ihre Wege kreuzen sich dabei mehrmals, doch für beide ist es schwer ihre Gefühle und Wünsche und ihre Vergangenheit und Zukunft unter einen Hut zu bringen. Gerade Lady Sula, deren einzige Möglichkeit für ein Entkommen aus einer ansonsten auswegslosen Situation der Eintritt in die Flotte war, muß schmerzhaft feststellen, daß man zwar sein Schicksal in die eigene Hand nehmen kann, aber dann auch lernen muß, mit seinen Erinnerungen an die Vergangenheit zu leben.

Nach einem langsamen Einstieg geraten die Geschehnisse unaufhaltsam ins Rollen und reißen den Leser dabei zwangsläufig mit. Und so endet „The Praxis“ schließlich mitten in den Vorbereitungen für eine entscheidende Schlacht…