Norman Spinrad DIE TRANSFORMATION (HE WALKED AMONG US) Heyne-Verlag 06/6149 |
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Dies ist ein Roman der Selbstbezüglichkeiten. Etwa wenn etwa eine der Hauptfiguren, der desillusionierte SF-Autor Dexter Lampkin, sich erinnert, wie er auf Cons seinem Kollegen Norman Spinrad begegnet ist. Oder wenn er Erlebnisse, die dieser ihm erzählt hat, als seine eigenen ausgibt. Oder wenn der Titel von Lampkins gescheitertem »Opus Magnum« identisch ist mit dem des Romans, den man in Händen hält – ein Gag, den allerdings der deutsche Verlag der Sache hinzugefügt hat; der Originaltitel trifft das Thema des Buches weitaus besser.
Ich habe diesen Roman mit Vergnügen gelesen, was ich beileibe von den wenigsten Romanen zu sagen bereit bin. Trotz des ungeheuren Umfangs saugt er sich gut weg und ist gekonnt erzählt. Am stärksten, anbei bemerkt, fand ich die Episoden um den unaufhaltsam scheinenden Abstieg des „Crack-Mädchen“, mit ihrer zunehmend zerfallenden Sprache so packend geschildert, daß sie mich teilweise in meine Träume hinein verfolgten. Ein Lob an den Übersetzer Horst Pukallus! Die Schilderungen der Auswüchse des SF-Fandoms sind mal lustig, mal tun sie weh, auf jeden Fall zeigen sie die ambivalente Haltung (man könnte auch sagen „Haßliebe“) Spinrads diesem Phänomen gegenüber. Kurzum, es war ein zum Nachdenken anregendes und dabei äußerst unterhaltsames Buch.
So unterhaltsam, daß ich erst ungefähr nach Zweidrittel des Romans gemerkt habe, was daran faul ist. Was für ein fundamentaler Denkfehler in dem Buch steckt. Nämlich: Es geht darin um nichts weniger als die Zukunft der Erde – ABER DER ROMAN SPIELT AUSSCHLIESSLICH IN DEN USA. DER REST DER WELT KOMMT ÜBERHAUPT NICHT DARIN VOR, UND DAS MIT ERSCHRECKENDER SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT.
Als mir das bewußt wurde, mußte ich das Buch erst mal weglegen. Dann mußte ich zurückblättern, weil ich nicht glauben mochte, daß einem Autor, der zwar Amerikaner ist, aber immerhin seit über einem Jahrzehnt in Paris lebt, ein solcher Faux pas unterlaufen ist. Aber es ist so. Aus der Sicht dieses Romans ist Amerika die Welt. Die Welt erstreckt sich zwischen Los Angeles und New York, Punkt. Was es sonst noch geben mag, ist Fußnote, bestenfalls.
Das führt dazu, daß ganze Kapitel voller tiefschürfend wirkender Überlegungen, ganze Handlungsstränge absurd werden, weil der Rest des Planeten ausgeblendet bleibt. Über Hunderte von Seiten geht es etwa um die Frage, ob und wie das kollektive Unterbewußtsein davon beeinflußt wird, daß ein Unheilsprophet aus einer dystopischen Zukunft in einer Spätabend-Talkshow seine Warnungen hinausposaunt – völlig außer Acht lassend, daß 99,99% der Menschheit von dieser Talkshow niemals etwas erfahren werden. Auch die Umweltzerstörung bleibt im Rahmen der Erzählung weitgehend Hirngespinst; abgesehen davon, daß an einer Stelle mal eine der Figuren kurz von heißem, stinkendem Smog angeweht wird, spielt ein großer Teil der Szenen in der Bergwelt der Rocky Mountains, die in einem Maß heil, menschenleer und unberührt ist, wie wir uns das hierzulande kaum vorstellen können. Allzu vieles, was in der Geschichte im Habitus des Globalen, Allgemeingültigen daherkommt, ist in Wirklichkeit inneramerikanische Angelegenheit.
Was mich darüber nachdenken ließ, inwieweit gerade die Tatsache dieses Mankos eine bedeutsame Aussage über den Zustand der Welt darstellt. Wie sollen die Probleme der Welt bewältigt werden, wenn diese Welt im Bewußtsein von Angehörigen der Nation, die die größte Macht auf diesem Planeten darstellt – einfach nicht vorkommt?
Bemerkenswert immerhin das: Zweifellos ist dieser Roman Spinrads Versuch, die Zukunft zu retten. Und wie alle Romane mit ähnlichem Anliegen zeigt er, daß dies nur über eine Bewußtseinsveränderung gelingen kann.
Und in gewisser Weise und im Kontext dieses Romans ist diese Schlußfolgerung auch wieder eine beinahe amüsante Selbstbezüglichkeit.
Wie ist der Roman zu bewerten? Offen gestanden: Ich weiß es nicht. Es gelang mir, weiterzulesen, und ich fand das Ende bewegend, aber ich zögere, ihn wirklich als Meisterwerk zu empfehlen. Er ist wie ein prachtvolles Schiff, dessen Rumpf leider ein Riesenleck hat: immer noch prachtvoll anzuschauen, leider aber nicht seetüchtig.
Andreas Eschbach, Juni 2002