Heyne Verlag, 06/5983
Titel der Originalausgabe: »Count Geiger’s Blues« (1992)
aus dem Amerikanischen von Michael Windgassen
Titelbild von p.n.m. doMANSKI – (Gruppe d4)
München, September 1999, 17.90 DM, 478 Seiten
Als Leiter des Ressorts für »Schöne Künste« bei der Salonika Urbanite hat Xavier Thaxton sehr genaue Vorstellungen darüber, was Kultur und Kunst von Schund und Müll unterscheidet. Als Kritiker ist seine scharfe Feder in Salonika gefürchtet und meist auch geschätzt. Jegliche Form von billiger Unterhaltung ist ihm zuwider und er läßt dabei auch keine Chance aus, um seine Meinung darüber bissig und kompromißlos kundzugeben. Doch dann kommt es zu einem Ereignis, das sein Leben für immer verändert.
Ein nächtliches Bad in einem radioaktiv verseuchten See hat seltsame Folgen für Xavier Thaxton. Seine geschätzten Kunstgenüsse verursachen bei ihm plötzlich unerklärliches Unwohlsein und mit der Zeit wird die Schöne Kunst für ihn zur körperlichen Qual. Sein Neffe El Mick und seine Freundin und Modeschöpferin Bari finden schließlich die Ursache heraus: die radioaktive Verstrahlung hat bei ihm ein »Philister-Syndrom« ausgelöst, das er am besten durch billige Fersehserien und geschmackloses Fast Food bekämpfen kann.
Doch Xavier Thaxtons Krankheit schreitet voran. Selbst ein Wechsel ins Ressort für Unterhaltung bringt nur kurzzeitig Linderung. Erst eine gar seltsame Idee führt zu einer dauerhaften Heilung – Xavier muß einfach ein Kostüm des verhaßten Comic-Superhelden »Graph Geiger« wie eine zweite Haut unter seiner normalen Kleidung tragen! Der dauerhafte Kontakt mit dem »Trivialen« gibt ihm die Möglichkeit wieder ein halbwegs normales Leben zu führen. Doch das Kostüm scheint eine seltsame Nebenwirkung zu haben…
Den Ausschlag zur Lektüre dieses Romans gab ein sehr interessanter und fesselnder Vortrag von Michael Bishop, den dieser im Oktober 2000 in Leipzig hielt. Er ging dabei der Frage nach, was in Comicheften mit Leuten passiert, die mit radioaktiver Strahlung in Berührung kommen. Im Gegensatz zum normalen Leben führt nämlich in der Comicwelt die Verstrahlung nicht zur Strahlenkrankheit und später zum Tod, sondern der Betroffene entwickelt irgendwelche unfaßbaren Superkräfte. Realistisch ist das natürlich nicht, aber was wäre, wenn es ab und an tatsächlich so ablaufen würde?
»Graph Geigers Blues« ist ein interessanter und stellenweise zynischer Roman. Xavier wird zu Beginn als verbitterter und selbstgefalliger Kritiker geschildert, und während er seine Verstrahlung zuerst fast unbeschadet übersteht, führt ein anderer Unfall mit radioaktiven Material zum langsamen Tod einer ganzen Familie. Immer wieder zeigt Michael Bishop seinen bissiger Humor und läßt weder selbsternannte Kulturhüter noch allzu verbissene Comicfans davonkommen. Auch der Seitenhieb auf den noch in der 50er Jahren verbreiteten Glaube an die Wunderkraft des Atoms bleibt nicht aus.
Alles in allem ist »Graph Geigers Blues« eine wunderbare Lektüre, die nicht nur Unterhaltung bietet, sondern auch einen gehörigen Schuß Gesellschaftskritik enthält. Empfehlenswert!